Zusammenfassung
Abraham Ortelius schrieb 1570 in der Vorrede zum „Theatrum orbis terrarum“, dass die Geographie ganz zu recht das „Auge der Geschichte“ genannt würde. Ausgehend von dieser schillernden Metapher, die eine organische Verbindung von Geographie und Geschichte insinuiert, widmet sich der Beitrag dem historischen Verständnis von Karten als Instrumenten des Geschichtsverständnisses. Ziel ist es, die von Ortelius positiv bewertete „Macht der Karten“ näher zu konturieren und an ausgewählten Beispielen aus der niederländischen Kartographie des 16. Jh. zu erläutern. Künstlerische Auseinandersetzungen mit dem aufstrebenden Konkurrenzmedium Karte werden abschließend hinzugezogen, um die zeitgenössische Reflexion über die Möglichkeiten von Karten, Bildern und Texten zu rekonstruieren.
Das Auge der Geschichte im Verständnis von Abraham Ortelius
Bei Abraham Ortelius, der mit dem erwähnten Theatrum orbis terrarum den ersten modernen Atlas avant la lettre, also eine Zusammenstellung aufeinander abgestimmter Einzelkarten, publizierte, hat die Rede vom Auge der Geschichte zunächst eine herausragende Funktion: Sie nobilitiert die Geographie und gibt ihr über die Beschreibung der Welt in ihrer natürlichen Erscheinung hinaus eine weiterreichende Funktion als die Beschreibung der historisch gewachsenen Welt, die durch Menschen gestaltet wurde. Durch die Formulierung: Geographia, quae merito a quibusdam historiae oculus appellata est,1 präsentiert Ortelius das starke Bild des Auges der Geschichte durch den Bezug auf anonyme Autoritäten (a quibusdam) als traditionell und bereits approbiert, obgleich es vor allem wegweisend für seinen eigenen Ansatz ist.
Was Ortelius mit dem „Auge der Geschichte“ gemeint hat, läßt sich exemplarisch an einer für das Theatrum gestochenen Karte von Holland (Abb. 1) zeigen, die auf die in den 1540er Jahren erhobenen Daten des Geographen Jacob van Deventer zurückgeht.2 Die geostete Karte zeigt nicht nur die landschaftlichen Gegebenheiten der Provinz mitsamt ihren wichtigsten Städten, sondern neben der bewegt inszenierten See auch die Kanäle, die die Polderwirtschaft ermöglichten, oder die gepflegten Dünen, sowie, wenngleich nur ganz zart gestrichelt, die Grenzen zu den anliegenden Provinzen, die daran zu erkennen sind, dass nur die Provinznamen angegeben sind, Detailinformationen aber fehlen. Nicht nur für Wirtschaftshistoriker bieten diese Angaben einen guten Einblick in die Qualitäten des Landes zu einem bestimmten historischen Zeitpunkt und einer langen Geschichte, sondern auch für die Zeitgenossen, denen die historischen Ereignisse noch vertraut waren. Holland gehörte damals noch zu den vereinten siebzehn Provinzen der Niederlande, und auch den weniger speziell ausgebildeten zeitgenössischen Betrachtern des Theatrum stand im Angesicht einer solchen Karte die jüngste Geschichte der spanischen Besetzung sicher vor Augen, so dass der Konnex von Geographie sowie politischer und nationaler Geschichte besonders gut greifbar war.3 An der Nordküste etwa sind deutlich die regelmäßige Anlage der Kanäle und die schutzbietenden Dünen zu erkennen. Ebenso sind z.B. die Wasserverbindungen zwischen den Städten Haarlem und Delft und zum Meer genau eingezeichnet.
Frans Hogenberg hat zur gleichen Zeit in seinen so genannten „Geschichtsblättern“ die Kämpfe um die holländischen Städte festgehalten, wobei er sich eines Darstellungsmodus bediente, der zwischen Vogelperspektive und Karte anzusiedeln ist, um die Lage der Städte mit den narrativ wiedergegebenen Kämpfen verbinden zu können.4 Die Entsetzung von Leiden etwa (Abb. 2), die nur durch eine Flutung des Hinterlandes erreicht werden konnte, erklärt sich aus den topographischen Gegebenheiten.
Vergleicht man Hogenbergs Darstellung mit der älteren Karte von Ortelius (Abb. 1), so kann man sich in etwa vorstellen, was zeitgenössische, mit der Geschichte Hollands ohnehin vertraute Kartenleser bei dem Blick auf die Karte Hollands abrufen konnten. Orte der jüngsten Geschichte nämlich – ebenso wie die mit den Orten verbundenen natürlichen Gegebenheiten des Landes, die Schwachstellen wie Vorteile boten, die den Gang der Geschichte mit begründet haben. Vorausgesetzt ist dabei natürlich, dass die Kartennutzer sich zu orientieren wussten und etwa Perspektivverschiebungen, wie sie sich in dieser Gegenüberstellung sofort zeigen, auszugleichen vermochten. Zwar ergreift die Karte von Ortelius weder Partei in dieser politischen Auseinandersetzung noch schildert sie die historischen Vorgänge, aber im Blick auf Karten des eigenen Landes ist das Abrufen historischer Fakten und Mythen grundsätzlich einfacher, wovon der nationale Geographieunterricht in Schulen bis heute Gebrauch macht. Eine wichtige methodische Frage ist dabei selbstredend, welches Wissen von außen an die Karten herangetragen wird, und welches sie tatsächlich selbst vermitteln.
Doch zunächst zurück zu Ortelius‘ Begriff von der Geographie: Die primäre Aufgabe seines Atlanten, der (wie Ortelius ebenfalls in der Vorrede angibt) einem viel größeren Nutzerkreis zugänglich sein sollte als die zuvor üblichen, meist unhandlichen, nur schwer und teuer zu erstehenden Wandkarten, sah er darin, dass Leser respektive Betrachter mit seiner Hilfe die Schauplätze der Geschichte besser verstehen können. Auch mit geringem Vorwissen sei es nämlich möglich, anhand der Karten soviel Wissen über die Geographie zu erlangen, dass es beim Lesen von Geschichtsbüchern abrufbar wäre. Der große Vorteil von Karten bestehe insbesondere in zwei Qualitäten: Zum einen in der Fähigkeit, die Orte der Geschichte so vor Augen zu stellen, als seien sie gegenwärtig, so dass man Taten und Orte erkennen könne,5 zum anderen in ihrer Einprägsamkeit, die dazu diene, die Geschichte selbst, die in den Karten vergegenwärtigt ist, länger im Gedächtnis zu behalten.6 Wörtlich heißt es: Mit den Karten wie Spiegeln der Realität vor Augen bleibe das Gelesene (in diesem Zusammenhang die Texte der Geschichtsbücher) länger im Gedächtnis.7 Die Repräsentation der Welt und die unter anderem mnemo-technisch relevante, zunächst aber faktisch gegebene räumliche Ordnung von historischen Zusammenhängen sind es also (nach Ortelius), die die Karten zu einem so potenten Medium machen. In seiner Sicht liegt die Macht der Karten in ihrer objektiven Repräsentationsleistung und der Ordnung, die sie nicht etwa schaffen, sondern abbilden. Inwieweit Ortelius das heute allgemein als konstruktiv verstandene Potential der Karten, ihren medienspezifischen Beitrag zum Verständnis der Welt und ihrer Geschichte, reflektiert, gilt es zu hinterfragen.
An einer Karte der Vereinigten Niederlande (Abb. 3) aus dem Theatrum orbis terrarum läßt sich zeigen, was Ortelius darunter versteht. – Wie die meisten Karten der Niederlande so ist auch diese gewestet und inszeniert dadurch die zerklüftete Küste am oberen Rand umso eindringlicher. Selbst für einen Landesunkundigen ist im Angesicht der natürlichen und räumlichen Bedingungen die holländische Geschichte besser vorzustellen und dadurch auch besser zu verstehen – so wird zum Beispiel die Bedeutung des langen Küstenstreifens und der Binnenmeere ersichtlich, so kann man erahnen, wieso es gelingen konnte, mit Hilfe von Geländeflutungen besetzten Städten zu Hilfe zu kommen (wie etwa die bereits erwähnte im Oktober 1574 in Leiden). Es fragt sich jedoch, ob die Visualisierung landschaftlicher Gegebenheiten, räumlicher Bezüge und kultureller Errungenschaften allein bereits das Konzept vom Auge der Geschichte ausfüllen – oder ob sich hinter der Rede vom Auge nicht doch mehr verbirgt.
Meines Erachtens steht das Auge bei Ortelius nicht (wie in so vielen optischen und perspektivischen Traktaten der frühen Neuzeit) allein für die mechanische, visuelle Wahrnehmung, sondern wird mit diesem Sinnesorgan auch ein intentionaler Zugriff auf Welt verbunden, wie er sich in den von Menschenhand gefertigten Karten äußert. Trotz aller Objektivitäts-Rhetorik von den Karten als Spiegeln der Realität wird die Erkenntnis der Geschichte in ihrer räumlichen Erscheinung zum eigentlichen Gegenstand der Geographie erhoben -und das Auge ist im metaphorischen Sinn das Organ dieser Erkenntnis.
Es ist lohnend, sich das Bild, das Ortelius von der Repräsentationsleistung der Karten gibt, genau zu vergegenwärtigen: Tafeln, die wie Spiegel der Realität vor unseren Augen aufgestellt sind, verlängern die Erinnerung an die (auch in Texten vermittelte) Geschichte.8 Übersetzt man speculis mit Spiegeln, rückt die gleichsam objektive Wiedergabe in den Vordergrund, werden die Karten zu automatisch, durch gleichsam natürlichen Widerschein erzeugte Simulacra der Realität. Übersetzt man speculis jedoch mit Brille, wie es bereits in der englischen Übersetzung von 1606 geschah, wo von glasses die Rede ist, so tritt das Fokussieren, bzw. das von optischen Geräten hervorgebrachte Bild stärker hervor, werden Karten also eher zu einem Instrument der Erkenntnis, die schließlich durch die menschlichen Augen vermittelt wird.9
Ohne hier ausdrücklich für eine der beiden Varianten zu plädieren geht es vielmehr darum, die Schattierungen des Begriffes speculum zu betonen, in dem das Wissen um die Mediatisierung anklingt, die von großer Relevanz für das zeitgenössische Medienverständnis ist. Die Karte, das primäre Medium der Geographie, macht die Erscheinung der Welt transparent auf ihre Geschichte, und das Organ, mit dem die Geschichte erkannt wird – oder aktiv formuliert: das die Geschichte erkennt, ist ein Auge, welches Ortelius mit einer wohl definierten, selbstbewußten Wissenschaft, der Geographie nämlich, gleichsetzt. Auge, Brille, Spiegel – alle diese Begriffe sind in der frühen Neuzeit in epistemologischen Kontexten zu verorten und werden (häufig metaphorisch) als Instrumente der Erkenntnis verstanden.10 In dieser Hinsicht ist die Formulierung von Ortelius gar nicht so außergewöhnlich. Das eigentlich Erstaunliche ist der Konnex von Geschichte und Geographie, die mit ihren Karten – und damit visuell zu deren Verständnis beiträgt. Auch wenn Kosmographen von Anbeginn an ebenfalls die Geschichte der Erde beschrieben haben, wurde der heuristische Wert der Visualisierung doch nur selten so klar formuliert. Im Vordergrund stand vielmehr die mathematische Erfassung der Erdoberfläche, eine Leistung, die trotz aller geometrischer Darstellung nicht mit dem Gesichtssinn in Verbindung gebracht wurde.
Eine ganz andere Form der Hierarchie von Geist und Sinnen ist zum Beispiel in der berühmten Illustration von Petrus Apianus (Abb. 4) zu fassen, der die Geographie als die Beschreibung der gesamten Welt mit dem menschlichen Kopf gleichsetzt, während er der Chorographie (oder Topographie), das heißt der Beschreibung von einzelnen Regionen oder Städten, nur Auge und Ohr zugesellt.11 Hier sind nicht nur Teil und Ganzes gemeint, so wie der Text erläutert, der ein Porträt dem Zeichnen von Auge und Ohr gegenüberstellt hier wird insbesondere eine Unterscheidung zwischen der exakten, geometrisch verfahrenden und die ganze Welt erforschenden Geographie und der partikularen, sich der ansichtigen Wiedergabe befleißigenden Zeichnung bzw. Malerei gemacht, welche nur für untergeordnete Teile zuständig ist – und sich zudem, dies sagt ja die Graphik weit über den Text hinausgehend, an die Sinnesorgane wendet, wenn sie Landstriche möglichst lebensnah wiedergibt. Es würde hier zu weit führen, die Verzweigungen der Geographie und ihre historische Bewertung im einzelnen darzulegen. Es kommt darauf an, dass die Visualisierungen der Geographie nicht zu schnell und selbstverständlich mit Auge und Optik in Verbindung gebracht werden dürfen. Wenn Ortelius von den Karten als speculis rerum spricht, meint er die exakte Repräsentationsleistung, die etwas abwesendes vor Augen stellt (quasi praesentem, wie es heißt). Das „Auge der Geschichte“ aber, die Geographie, kann mehr: sie kann erkennen und erklären – und – viel wichtiger: sie schreibt Geschichte.
Ob Ortelius explizit soweit gegangen wäre, ist aus den Texten nicht eindeutig zu entnehmen, und die Frage, ob eine derartige Lesart vom „Auge der Geschichte“ und seinem Blick zu modern ist, läßt sich nicht einfach beantworten. Dass mit Mitteln der Geographie Geschichte geschrieben wurde, ist heute allerdings ein Gemeinplatz und die Kartographiegeschichte der letzten Jahrzehnte hat sich zu einem guten Teil mit der Untersuchung politischer Botschaften in Karten und Ansichten beschäftigt.12
Kartenkörper – der Leo Belgicus
An einer Sonderform der niederländischen Karte läßt sich die Verbindung von Karte und Geschichte besonders gut verdeutlichen. Es ist der Leo Belgicus, der 1583 erstmals dem gleichnamigen Buch beigefügt war, und es ist bezeichnend, dass auch hier die Karte in einem Buch zu verorten ist (Abb. 5). In die heraldische Form des Löwen eingepasst werden die siebzehn Provinzen (in einer genordeten Variante) als mächtige Einheit vorgestellt. Auch wenn derartige Karten, in denen das Land als Figur gegeben wird, nichts Ungewöhnliches sind, so wirkt der Löwe, der auch das Wappen von Brabant ziert, als besonders aktives und kräftiges Symbol.13 Michael von Aitzing, der Inventor dieser Karte, erklärt in einer ausführlichen lateinischen Inschrift die Funktion des Kartenbildes:
Eine Einleitung in den Löwen für den Leser von Michael Aitzing
Wir stellen Dir, lieber Leser, den Leo Belgicus in einer Form vor, in der er nie zuvor dargestellt wurde, damit Du die Beschreibungen der einzelnen Teile besser verstehst. Es empfiehlt sich, auch das Buch zu kaufen, das mit Illustrationen des ausgezeichneten Künstlers Frans Hogenberg versehen ist und so mit dem Löwen korrespondiert, dass es ebenso präzise ist, wie auch leicht zu lesen. Ich hoffe, dass Du Dank dieses Löwen verstehen wirst, was in den Niederlanden geschah, wieviel, wann und in welchen Orten, Städten, in Friedens- wie in Kriegszeiten, vor allem während der vergangenen vierundzwanzig Jahre, das heißt von 1559 bis 1583. Ob Du ein Anhänger jener Kämpfer unter der Führung des berühmten Erzherzogs Matthias von Österreich und seines sogenannten ‚Lieutnants‘ Prinz von Oranien bist, oder von jenen, die zu den fünf Regenten halten, welche vom König eingesetzt wurden, soviel ist sicher, dass Du alles wahrheitsgetreuer und annehmbarer finden wirst, da wir die Tatsachen persönlich auf beiden Seiten beobachtet und überprüft haben – und schließlich alle Ereignisse mit Jahres- und Ortsangaben ihrer eigenen Ordnung nach aufgezeichnet haben. All dies geschah ohne Vorurteil, sehr nüchtern allein auf der Suche nach der Wahrheit. Wir hoffen, dass Du uns darin zustimmst, dass wir uns nie zugunsten einer der beiden genannten Parteien haben beeinflussen lassen, sondern wünschen, dass jeder sich seine eigene Meinung bilde. Lebwohl aufrichtiger Leser, beurteile unser Werk nach seinem wahren Wert. Ein Lebwohl an all jene, die den Leo Belgicus nicht mit dem Ziel der Verleumdung studieren, sondern auf der Suche nach Wahrheit.14
Auffällig ist die Emphase der wahrheitsgetreuen und vor allem unvoreingenommenen Schilderung der Tatsachen, die sich offensichtlich mit der emblematischen Form der Gesamtkarte vereinbaren ließ. Erneut wird die Karte als besonders objektive Repräsentationsform der geographischen und politischen Realität für die Darstellung von vorgeblich ebenso objektiver Geschichtsschreibung instrumentalisiert. Explizit werden Exaktheit und Lesbarkeit kombiniert. Darüber hinaus soll die Karte das, „was in den Niederlanden geschah“, verständlich machen. Eine weitere Tafel, die sich im Rücken des Löwen befindet, dokumentiert den politischen Status quo von 1559. Hier ist angegeben, wem Philipp II. damals die Regierung seines Leo Belgicus übergeben hat. Tabellarisch aufgelistet sind die Namen der Herzöge mit den Namen der Provinzen, der Zahl ihrer Städte und Dörfer, sowie den zugehörigen Wappen. Die Zuordnung von Tabelle und Karte wird dadurch erleichtert, dass die Provinzwappen deutlich auf ihrem Territorium eingezeichnet sind. Diese Tabelle und die Angaben der Inschrift geben den zeitlichen Rahmen, aus dem die chronologisch angeordneten Ereignisse im Buch geschildert werden. Symbolisch gerahmter Raum und die jüngste Geschichte werden so ineins geblendet.15
Der Leo Belgicus hat zahlreiche Auflagen erlebt und dabei signifikante Änderungen erfahren. Die einfachste Variation bestand in der Hinzufügung weiterer Bilder, wie den Regentenporträts in der Rotterdamer Fassung des Johan van Doetecum von 1598, die mit den Palastansichten aus Brüssel und Den Haag zugleich die Regierungssitze der beiden Fraktionen wiedergibt.16 Am Beginn des 17. Jahrhunderts verwandelte der Löwe sich in mehreren Fassungen gleichsam in ein lebendiges, dreidimensionales Tier, das seinen eigenen Raum beanspruchte (Abb. 6). Weniger bekannt ist die in Amsterdam gedruckte Version von Hendrik Florens van Langeren (1617) bei der unter dem mächtigen Körper des Löwen drei holländische Paare durch eine rudimentär angegebene Landschaft wandeln, die auch dem Löwen Boden gibt.17 Während die Regentenporträts dort auf die obere und untere Randleiste verdrängt sind, zieren die seitlichen Ränder Ansichten und Pläne der relevanten Städte. Auf einen Blick vermittelt das Blatt das Zusammenspiel mehrerer Faktoren, die die niederländische Geschichte formten: das Land selbst, seine Regenten, die geordneten Städte, deren Wohlstand sich in den ganz unterschiedlich projizierten Plänen ebenso ablesen läßt, wie an Palastansichten oder idyllischen Landschaften. Während Doetecum die konkreten Regierungssitze ansichtig gezeigt hatte, sind es hier eine schräg projizierte Vogelsperspektive von Den Haag und ein fast aufsichtiger Plan von Brüssel. Sämtliche Varianten der Stadt-und Ortsansichten konnten in diesem Rahmen der Realitätsspiegelung dienen, denn sie boten weitere, chorographische Informationen zum Leo Belgicus.
Claes Jansz. Visschers Löwe (Abb. 6), der zunächst 1611, bis 1621 dann noch in weiteren, leicht geänderten Fassungen in Amsterdam erschien, sitzt, und darin äußert sich bereits die wichtigste Aussagenverschiebung.18 Im April 1609 war ein Waffenstillstand ausgehandelt worden, der bis 1621 halten sollte.
Die niedergelegten Waffen und ein, wenngleich nur vorübergehender Frieden sind das Thema des Blattes. Die Randleisten sind diesmal seitlich nur mit Ansichten von Städten gestaltet, denen links für den Süden Antwerpen vorsteht, während rechts für den Norden Amsterdam die Reihe anführt. Die Provinzwappen sind an den oberen Rand gewandert. Das, was ehemals eine löwenförmige Karte war, ist nun eine vielgestaltige Landschaft, an deren Horizont die Silhouette von Amsterdam zu sehen ist. Der mit vielen Schraffuren plastisch modellierte Löwe sitzt noch immer formatfüllend und behäbig auf dem hügeligen Boden und die kartographischen Kürzel sowie die unzähligen Städtenamen scheinen seinem Fell eingeschrieben. In der rechten unteren Ecke schläft unter der erhobenen Tatze ein gerüsteter Soldat, gleich hinter ihm hält ein anderer immerhin die Grenzwache. Links ruht unbehelligt eine weibliche Personifikation der Niederlande an einem schattigen Ort. Unter ihren Füßen lugt die leblose Gestalt des Oude Twist, also der ehemaligen Auseinandersetzung, hervor. Soweit das Auge schweifen kann, sieht es eine von Bauern wohl bestellte Landschaft, die sich offensichtlich von den Bedrängnissen des Krieges erholt. Allegorisch unterstrichen wird dies von jenen Wohltaten des Waffenstillstandes, die buchstäblich vom Himmel fallen. Als eine hybride Form zwischen Karte und Bild macht dieser Leo Belgicus besonders gut die spezifischen Möglichkeiten von bildlicher und kartographischer Darstellung deutlich. Sobald es darum geht, Frieden und Wohlergehen visuell wiederzugeben, muß das Kartenbild um die Dimension eines konkret nachvollziehbaren Erlebnisses erweitert werden. Selbstverständlich hätten die Personifikationen von Pax und den Niederlanden – oder eine ähnliche, rein allegorische Darstellung ausgereicht, um vom Waffenstillstand zu künden. Die bildliche Darstellung als konkrete Anschauungsvorgabe des friedlichen Landlebens ist aber die folgerichtige Ergänzung einer Karte, die ihrerseits für die politische Einheit steht. Das in der Karte manifeste „Auge der Geschichte“ bekommt das „Auge des Betrachters“ an die Seite gestellt, der sich imaginär in jener Landschaft verorten kann, die zu dem großen Ganzen, dem Leo Belgicus, gehört. Obgleich dieser Löwe nun sitzt, überragt er weit die Horizontlinie und scheint mächtiger denn je. Er wird nicht nur durch die Form des Landes gebildet, sondern zu ihm gehört auch die Erfahrung eines wieder erstarkten Landes, in dem man sich frei bewegen kann. Die Inschrift auch dieses Blattes kündet rhetorisch von der genauesten und aktuellsten Aufzeichnung Belgiens. Von den Ereignissen der Geschichte ist jedoch keine Rede mehr. Im Vordergrund steht die Beschreibung der friedvollen Gegenwart, die sich insbesondere an der Landschaft ablesen läßt.
Ebenfalls während des Waffenstillstandes gab Nicolaus Joannes Visscher allerdings auch einen aggressiven Leo Hollandicus heraus (Abb. 7) und widmete ihn dem Vaterlandsverteidiger Moritz von Nassau.19 Dieser Löwe brüllt in den Dünen der Nordseeküste und nutzt damit diesen Landschaftstypus zur Repräsentation der ungebändigten, freien Republik.
Der Leo Belgicus war nur die äußerste symbolische Form einer kartographischen Einheit, die höchst wandelbar war. Durch die Kombination mit Texten, Stadtansichten und Regentenporträts war die Verknüpfung von Land, Wirtschaft und politischer Geschichte auf Anhieb zu erkennen. Von eminenter Bedeutung ist dabei, dass in den Niederlanden gerade Karten zum besonders verbreiteten Bezugspunkt dieser Auffassung von Geschichte wurden. Auch wenn das Gefüge aus der historisch greifbaren, geographischen Datenerhebung, deren kartographischer Umsetzung, der erst durch die Drucke gewährleisteten Verbreitung, sowie den komplizierten Beziehungen von Karten untereinander es erschwert, ein verbindliches kartographisches Bild zu konturieren, so darf man annehmen, dass ein kartographisch imprägniertes Amalgam aus geographischen und historischen Daten höchst präsent war. Diese Vorstellung, wie diffus sie beim einzelnen auch gewesen sein mag, war dazu angetan, Geschichte und Gegenwart innerhalb geographischer Koordinaten zu interpretieren. Und dies ließ sich (wenn es erst einmal in der kollektiven Vorstellung verankert war) auch auf andere Karten anwenden. Sehen als Bedeutungsgenerierung scheint diesen Karten eingeschrieben, allerdings muß man sich stets gegenwärtig halten, wie sehr eben diese Bedeutungsgenerierung durch Wissen, das außerhalb der Karten selbst gespeichert ist, gelenkt wird.
Wie stark die Benennung von Ereignissen mit ihrer kartographischen Repräsentation verbunden wurden, zeigt etwa Frans Hogenbergs Karte von Germania inferioris (Abb. 8), deren Legende eine Chronologie der historischen Geschehnisse bietet -und auf diese Weise die Geschichte direkt an die Karte anbindet. Oder eine ebenfalls von Frans Hogenberg stammende Kombination von einem schrägansichtigem Stadtplan Antwerpens mit den vor Ort verübten Greueltaten der Spanier, die mit dem geflügelten Wort von der Furie Antwerpens in die Geschichtsschreibung eingegangen sind (Abb. 9).20 Hier geben narrative Bilder die Zusatzinformation bzw. ergänzen sich Karte und Bilder zu einem seitdem bis zu unseren Fernsehberichten üblichen Bild der Geschichte, das scheinbar ‚nur’ mit dem Auge wahrgenommen werden kann. Wir kennen diese Bebilderung aktueller Ereignisse noch immer aus den heutigen Medien, die (allerdings meist animierte) Karten mit Fotos kombinieren.
In der hier gebotenen Kürze läßt sich zur Geschichte der kartographischen Gestalt der Niederlande nur soviel sagen:21 Am Anfang der in großer Zahl gedruckten Karten – also in der Mitte des 16. Jahrhunderts – herrscht das Interesse an den neuen Vermessungsdaten vor, während im Laufe des nächsten Jahrhunderts die Kombination aus Karte, Stadtansichten und politischen Ereignissen ständig zunimmt – und so das kartographische Bild des Landes mit seiner Geschichte zur Deckung gebracht wird. Die Macht der Karte, der Darstellung topographischer Gegebenheiten Bedeutung (nicht zuletzt politische Bedeutung) einzuschreiben, wird dabei von Anbeginn an auf sehr hohem Niveau genutzt.
Die Karte im Kopf

Abbildung 11: Typus orbis terrarum, Theatrum orbis terrarum 1572, Tafel 1 (Ortelius/Schneider 2006).
Dass eben dies auch im Medium selbst reflektiert wurde, sei nun an einem satirischen Stich gezeigt:22 Mit der sokratischen Devise Nosce te ipsum (also „Erkenne Dich selbst“) ist die „Welt unter Narrenkappe“ (Abb. 10) überschrieben, und bei dieser Welt handelt es sich ausgerechnet um die Karte aus dem berühmtesten Atlas seiner Zeit, nämlich Ortelius‘ Theatrum orbis terrarum von 1587 (Abb. 11, 1572).23 Diese sehr bekannte Weltkarte, wurde auch als solche wieder erkannt und war kein beliebiges Zeichen für die Welt als solche, sondern ein Zeichen dafür, wie Zeitgenossen sich ein Bild von der Welt machten – ein Bild, das sie dann folglich auch in ihrem Kopf mit sich herum trugen, eines, das ihre Entscheidungen vorstrukturierte.
Sowohl dies als auch das in Karten manifeste Streben nach weltlicher Macht thematisieren die Inschriften: Davon, dass Karten nicht der Erkenntnis, sondern der weltlichen Macht dienen, kündet die Inschrift oberhalb der Karte auf der Stirn, wo es heißt:
„Dies ist der kleine Raum der Welt und der Stoff unseres Ruhmes, dies ist der Sitz, hier bringen wir Ehrungen hervor, hier bringen wir Reiche in Bewegung, hier begehren wir Macht, hier wird das menschliche Geschlecht in Unruhe gebracht, hier veranstalten wir auch Bürgerkriege“.24
Die ständig wiederholten Worte „hic est punctus …, h•c sedes“ etc. weisen eindeutig darauf hin, dass hier, also im Kopf, die Welt entsteht, auf die der Narr ohnehin keinen Blick mehr werfen kann, weil er von einem vorgefertigten Kartenbild verstellt ist. Nicht die Welt als solche ist närrisch, sondern jener Mensch, der glaubt, sie durch ein Kartenbild bereits erfasst zu haben und darüber die Selbsterkenntnis vernachlässigt. Darüber hinaus weisen die Inschriften auf die Dummheit der Menschen hin, und das Zepter mit der kristallenen Weltkugel kündet v.a. von der Vanitas, der Eitelkeit alles Irdischen. Ganz deutlich wird so das Verhältnis von Weltkarte, Weltpolitik und Selbsterkenntnis.
Das Motiv des Narren als selbstgerecht vermessenem Menschen ist nicht neu. Es findet sich verwandt schon in Sebastian Brants “Narrenschiff”, wo es als eine der vielen menschlichen Torheiten vorgestellt wird, anstelle seiner selbst die Welt mit Hilfe der Wissenschaft begreifen zu wollen.25 Der Holzschnitt bei Brant, in dem ein Narr -dem Schöpfergott gleich -das Universum mit dem Zirkel zu vermessen sucht, gehört zu Kapitel 66 mit der die Hybris bereits andeutenden Überschrift “Alle Länder erforschen wollen”. Die Opposition, die im beigefügten Text aufgemacht wird, ist klar und deutlich. Text und Bild prangern die ‚Vermessenheit‘ wissenschaftlichen Tuns an. Während in der Illustration Sebastian Brants von 1494 aber noch das Messen des Unermeßlichen die Torheit bezeichnet, wird das Blatt vom Ende des 16. Jahrhunderts vom Kopf des Toren selbst beziehungsweise von seiner Kappe beherrscht und an jener Stelle, wo man zu Recht das Gesicht vermuten würde, prangt Ortelius‘ Karte. Sie konnte die Funktion des Meßinstrumentes übernehmen, weil sie als zeichnerisches Produkt der Vermessung bereits zu deren Symbol geworden war. Viel wichtiger jedoch ist die Tatsache, dass sich diese Karte nicht in den Händen des Narren befindet, sondern dass sie sein Gesicht ersetzt. ‚Gesicht‘ ist hierbei sehr wohl in beiderlei Wortsinn zu verstehen, denn das Irritierende an der Darstellung ist ja nicht nur, dass wir anstelle von Gesichtszügen eine Karte sehen, sondern insbesondere, dass der Sehsinn, also der Blick des augenlosen Narrs selbst außer Kraft gesetzt ist, verblendet von der Weltkarte, die – so aktuell sie auch sein mag – den individuellen Blick auf die Welt und auf sich selbst nicht zu ersetzen vermag. Kaum deutlicher als in dieser geradezu buchstäblichen Verblendung des Narren durch die Karte kann der notwendige Rückbezug auf die menschliche Selbsterkenntnis und die aus ihr gewonnene individuelle Perspektive eingefordert werden. Hier ist das „Auge der Geschichte“ blind.
Der Akzent dieses Narrenkopfes ist ein besonderer. Bezeichnend ist nämlich, dass die Welt gerade nicht als Globus oder kreisrunder Kosmos dargestellt ist, dass sie auch nicht als ‚normal‘ genutzte Karte an der Wand, auf dem Tisch oder in den Händen eines Narren gezeigt wird,26 sondern dass sie höchst suggestiv das Gesicht ersetzt. Wäre es dem Inventor des Stiches nur darum gegangen, die Macht der Narrheit über die Welt zum Ausdruck zu bringen, so hätte er, wie in unzähligen allegorischen Bildern der Zeit,27 die Sphaira als Zeichen der ‚Verkehrten Welt‘ nur auf den Kopf stellen – oder sie mit einer Narrenkappe überziehen müssen. Stattdessen stehen im Mittelpunkt dieses Blattes aber der Narr selbst und seine defizitäre Erkenntnis. Er ist ganz nah an den Bildrand herangerückt und körperlich derart präsent, dass die Betrachter sich der Irritation des ‚blinden Blickes‘ nicht erwehren können und konnten. Die Adressaten des Stiches waren sicher darin einig, dass die Welt sich nur demjenigen wirklich erschließt, der eine eigene Perspektive entwirft und dabei zugleich reflektiert: “hic est mundi punctus …”
Offensichtlich hatten Karten in der zeitgenössischen Wahrnehmung einen besonderen epistemologischen Status, der bereits wieder karikiert werden konnte. Die hier zwar “modern” formulierte, aber doch im Stich angelegte Reflexion zielte darauf ab, die Wechselwirkung zwischen der Erkenntnisleistung eines Mediums mit ihrer wirklichkeitsgenerierenden Macht ins Verhältnis zu setzen. Das Bild der Weltkarte als Membran zwischen närrischem Geist und Welt will dabei nicht die Leistungen der Kartographie diskreditieren. Es zeigt vielmehr die impliziten Konzeptualisierungen und Strukturierungen der Karte, die sie lange vor unserer Zeit zu einem Abbild des Bewusstseins, einer so genannten mental map machen konnten.
Die gemalte Karte
Abschließend sei an einem Beispiel aus der Malerei verdeutlicht, wie der Kartographie ihr Anspruch, Geschichte exakt wiederzugeben, von Vertretern anderer Medien streitig gemacht wurde. Das Thema von Johannes Vermeers “Allegorie der Malkunst” von ca. 1665 (Abb. 12)28, ist offenkundig die Malerei selbst. Sie steht im Dialog mit anderen Medien, die durch verschiedene Objekte und Personen vergegenwärtigt sind. Es beginnt bei dem von unbekannter Hand aufgerollten Teppich, der einem Theatervorhang gleich den Bühnenraum freigibt, auf dem die Atelierszene wie in einer Aufführung gespielt wird.29 Gemälde können, so soll die Geste des höchst illusionistisch gemalten Vorhanges andeuten, sowohl einzelne Objekte als auch das Theater imitieren und selbst Geschichten erzählen.30 Dass auch und gerade Bilder von den berühmten Helden und Taten der Geschichte berichten können, deutet das als Clio verkleidete Modell an: die Posaune der Fama in der Hand, den Lorbeerkranz auf dem Kopf und vermutlich eine gewichtige Chronik in der Hand verkörpert sie symbolisch die Geschichtsschreibung. Auf welch hoher Ebene hier mit Repräsentationsmodi gespielt wird, muß man sich genau vergegenwärtigen: Da ist ein Modell, eine junge Frau, die sich verkleidet hat, um eine Allegorie zu verkörpern. Diese Allegorie birgt in sich – abstrakt bereits die ganze Geschichtsschreibung, die auch in anderen Medien zum Ausdruck gebracht werden kann. Auf dem Tisch vor ihr liegen ein aufgeschlagenes Buch, eine Theatermaske und ein weiterer Foliant. Die Frau ist nicht Clio selbst. Wir sehen genau, dass sie sie nur verkörpert, und sehen auch, dass dies im Bild selbst schon wieder zurückgestuft ist, weil es ja nur noch das Bild von der verkörperten Allegorie ist, von dem im Bild selbst gerade ein weiteres Bild angefertigt wird.
Dass die Malerei es darüber hinaus auch noch mit der Kartographie aufnehmen kann, macht die Inkorporation von Claes Jansz. Visschers Karte der 17 Provinzen deutlich, die mehr als ein Viertel der gesamten Bildfläche einnimmt,31 und so exakt kopiert ist, dass sie von der Forschung genau bestimmt werden konnte. Dabei handelt es sich um eine ostentativ gemalte Landkarte und das heißt eine Landkarte, die im Bild als solche nicht mehr zu benutzen ist, dafür aber in ihrer Materialität in Erscheinung tritt.32 Vermeer hat auf der Binnenrahmung der Landkarte, rechts neben dem Kragen des Modells, signiert und so das gesamte Bild, wie auch das Bild der Karte als seine Schöpfung deklariert.33 Damit wird ihre nationale Bedeutung, die vielen Interpreten wichtig erschien, nicht ohne weiteres hinfällig, aber sie muß anders gewichtet werden.34 Wenn Vermeer seinem Bild eine leicht wieder zu erkennende Karte einfügt, dann mag es zwar sein, dass er mit dem Knick, der bei Breda durch die gesamte Karte geht, auch auf das realiter geteilte Land hinweisen wollte. Im Kontext des gesamten Bildes, dessen Thema die “Malerei” ist, scheint es jedoch vorrangig um etwas anderes zu gehen. Vermeer präsentiert die Karte durch die starken Schattierungen und die Falten, die ihre gleichmäßige Beleuchtung beeinträchtigen, als einen konkreten, aus Papier, Leinwand und Farbe bestehenden Informationsträger. Er hebt den Anspruch jeder Karte, ein aktuelles und wissenschaftliches Medium zu sein, dadurch hervor, dass er nur die Wörter “NOVA XVII … DESCRIPTIO” gut lesbar hinter dem Kronleuchter hervorsehen läßt. Dadurch, dass er die gemalte Karte aber mit der bewußt unscharfen Wiedergabe um ihren genuinen Informationswert bringt, wird die Bedeutung der Inschrift gleichsam invertiert, da sie sich nun nicht mehr auf die Karte, sondern auf das Bild von ihr zu beziehen scheint. Gerade weil die Leinwand des Bildes und der Karte in der “Malkunst” materialiter identisch sind und Vermeer die Karte, um dies zu betonen, eigens in das Rechteck des Rahmens eingepasst hat und sie doch von dem Vorhang, von Clio, dem Maler und der Staffelei sowie dem Kronleuchter überschneiden läßt, wird die Differenz zwischen der im Bildraum täuschend ähnlich wiedergegebenen Karte und ihrem realen Korrelat offensichtlich.
Vermeer setzt hier ein subtiles Spiel von Kopräsenz und Dissoziation ins Werk, das es mit heutigen bildwissenschaftlichen Theoremen aufnehmen kann. Für unser Thema ist von besonderer Relevanz, dass Vermeer Geschichtsschreibung, Geographie und Malerei auf einer neuen Ebene, in dem von ihm geschaffenen Bild nämlich, verhandelt und ihre Interdependenzen und Differenzen konturiert. Im einenden Bildraum sind sowohl die Diskurse als auch ihre Medien präsent. Karte, Bild, Text und Allegorie verschmelzen zur meta-artistischen Aussage über die Qualitäten der Malerei, die mit ihren genuinen Mitteln Bedeutung zur Erscheinung bringen kann.
Auch wenn dies hier nur holzschnittartig abgeleitet werden konnte, so ist hoffentlich deutlich geworden, dass Vermeer, der in einem Land arbeitete, dessen Wohnzimmer von Karten überfüllt waren,35 in seinem Bild die Medialität von Geschichtsschreibung verhandelt, die verständlicherweise günstiges Licht auf die Malerei selbst wirft. Das Auge der Geschichte, so könnte man metaphorisch formulieren, ist solange blind, solange es sich auf die Kartographie allein verläßt – Text und Bild müssen hinzukommen, um die Geschiche zu verstehen –respektive sie zu schreiben.
Die Macht der Karten war spätestens seit ihrem Boom im 16. Jh. nicht nur eine bekannte Tatsache, die stillschweigend genutzt wurde. Die Macht der Karten, durch die scheinbar objektive Repräsentation räumlicher und historischer Daten, Bedeutung zu produzieren und Geschichte zu schreiben und verständlich zu machen, wurde auch medienintern reflektiert. Dafür spricht das Diktum des Gelehrten Abraham Ortelius – noch eindrücklicher aber führen es die Werke des Satirikers und Vermeers vor Augen, wenn sie zeigen, wie sehr Kartographie mentale Vorstellungen und damit letztlich auch die Welt imprägniert.
Literaturverzeichnis
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Asemissen, Hermann Ulrich: Jan Vermeer. Die Malkunst. Aspekte eines Berufsbildes, Frankfurt a.M. 1988.
Badt, Kurt: „Modell und Maler“ von Jan Vermeer, Probleme der Interpretation. Eine Streitschrift gegen Hans Sedlmayr, Köln 1961.
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1 Ortelius 1570, Vorrede, o.S.
2 Vgl. zur Flandern-Karte Depuydt 2001.
3 Vgl. zu diesem Zusammenhang bei Merian: Fuss 2000.
4 Vgl. zu den Geschichtsblättern: Hellwig 1983.
5 si Tabulis ob oculos propositis liceat quasi praesentem, res gestas, aut loca in quibus gestae sunt, intueri. Ortelius 1570 Vorrede, o.S.
6 Vgl. dazu Mangani, 1998, S. 192.
7 Tabulis his quasi rerum quibusdam speculis nobis ante oculos collocatis, memoriae multo diutius inhaerent. Ortelius 1570 Vorrede, o.S.
8 Vgl. die lateinischen Zitate in Fn. 7 u. 9.
9 Interessanterweise wird speculis in der ersten englischen Ausgabe mit glasses übersetzt, was der frühneuzeitlichen Verwendung von speculis als Brille entsprechen würde. So verführerisch die Annahme ist, die Karten wären von Ortelius als Brille zum Blick auf die Welt konzipiert worden, spricht der Genitiv Plural von “res”, der sich auf speculis bezieht, dagegen. Wahrscheinlicher ist daher die hier gegebene Übersetzung als Spiegel der Dinge, womit den Karten immerhin eine höchst genaue Repräsentationsleistung zugesprochen wird. Alpers (1998, 270) weist in diesem Zusammenhang auf die Ähnlichkeit in der Bewertung von Karten und Bildern hin, da auch Bilder als Spiegel oder Gläser bezeichnet wurden.
10 Vgl. dazu die Ausführungen von Alpers 1993, insb. im Kapitel über Kepler.
11 Die erste Ausgabe erschien in Ingolstadt 1524. Vgl. zu Darstellung und Text ausführlicher Michalsky 2007, S. 325-329, mit ält. Lit.
12 Vgl. dazu Jacob 1992; Lestringant 1994; King 1996; Brotton 1997; Black 1997 Dorling /Fairbairn 1997; Cosgrove 1999; Harley 2001; Dipper/Schneider 2006; Michalsky 2004 u. 2007; Michalsky/Schmieder/Engel 2009, Einleitung.
13 Vgl. die ausführliche Vorstellung der diversen Editionen bei Heijden 1990; , sowie die Interpretation von Levesque 1997, 239-247. Zuvor war etwa Europa schon 1539 als Jungfrau dargestellt worden. Auch Ortelius erwähnt einige Karten in heraldischen Formen, s. dazu Heijden 1990, 11f.; Kat. Ausst. Berlin 2003, Nr. IV, 16 -IV, 17; Schmale 2004, 244-249.
14 Eigene Übersetzung mit Hilfe der englischen Übersetzung von Heijden, vgl. den Text bei Heijden 1987.
15 Ob mnemotechnische Überlegungen bei einer derartigen Zurichtung der Karte auch eine Rolle gespielt haben, wurde bislang nicht untersucht. Allerdings bietet ein derartiges Bild erheblich bessere Möglichkeiten, sich die Konturen eines Landes einzuprägen.
16 Vgl. Heijden 1990, Karte 3.1.; Nalis 1998, IV, Nr. 1007. Die Regenten sind nach Philipp II. (links oben) durchnumeriert -und bilden von oben nach unten alternierend die Chronologie ab. Am unteren Rand sind es die Regenten, die seit der Union von Utrecht benannt worden waren: Willem, Prinz von Oranien; Matthias, Erzherzog von Österreich; François, Herzog von Alençon und Anjou; Robert Dudley, Herzog von Leicester, und Moritz, Prinz von Oranien. Vgl. auch Kat. Ausst. Krefeld 1999, Nr. 3.1.
17 Vgl. Heijden 1990, Karte 4.1.
18 Vgl. Heijden 1990, Karte 5, 37ff.; Kat. Ausst. Krefeld 1999, Nr-3.2.; Kat. Ausst. Amsterdam 2000a, 96; Kat. Ausst. Berlin 2003, Nr. IV, 48.
19 Die erste Fassung von 1612 ist verloren -erhalten ist ein Druck von 1633, vgl. Heijden 1990, Karte 23.
21 S. dazu das Standardwerk von Schilder 1986 ff.
22 Vgl. dazu ausführlich Michalsky 2002.
23 Zur Aktualisierung des Narrenkopfes mit den jeweils neuen Karten aus Ortelius‘ Atlas s. Helgerson 2001.
24 Hic est mundi punctus et materia gloriae nostrae, h•c sedes, hic honores gerimus, hic exercemus imperia, hic opes cupimus, hic tumultuatur humanum genus, hic instauramus bella, etiam civilia. Plin. Die ungewöhnliche Formulierung “punctus” anstelle von “punctum” betont (seit Cicero) die Herkunft des Wortes von “pungo” (stechen), um die Kleinheit dieses Punktes herauszustreichen.
27 Vgl. etwa von Pieter Bruegel: Niederländische Sprichwörter. Berlin, Staatliche Museen, Gemäldegalerie; dazu Michalsky 2008 (Perlen vor die Säue), mit ält. Lit.
28 Wien, Kunsthistorisches Museum, 120 x 166 cm, vgl. die einschlägigen Aufsätze von Sedlmayr 1958 und Badt 1961, die am Beispiel von Vermeers Bild grundsätzliche Methodenkontroversen austrugen, dazu Mengden 1984. Die wichtigsten Titel der älteren Lit. sind zusammengestellt bei Asemissen 1988, 69-70. Hedinger (1986, 105-120) geht zwar näher auf die Karte im Bild ein, entscheidet sich aber für eine historisch-politische Interpretation. Für die jüngere Diskussion um das Bild und die Frage nach seinem Status als Allegorie oder Statement zur beschreibenden Fähigkeit der Kunst, vgl. Alpers 1998, 216-221; Arasse 1996, 87-117; Stoichita 1998, 206f. u. 286-298. Meine hier vorgebrachten, stark verkürzten Bemerkungen beruhen vor allem auf den Beobachtungen von Arasse und Stoichita, die beide den metaartistischen Charakter der “Malkunst” anhand der im Bild miteinander kommunizierenden Medien (Karte, Personifikation, Leinwandbild, Vorhang/Teppich) herausgestellt haben.
29 Stoichita (1998, 295f.) hat bemerkt, dass die Betrachter bei geschlossenem Teppich-Vorhang nurmehr dessen Rückseite, eine Gewirr aus Fäden, sehen würden, das seinerseits den Akt der artifiziellen Bedeutungsgenerierung im Bild zum Ausdruck bringt. Mehrfach ist darauf hingewiesen worden, dass das Gewand des Malers veraltet sei und wie eine Verkleidung wirke -ebenso wie der Kronleuchter mit einem habsburgischen Adler auf eine frühere Zeit verweise. Der Verweis auf die habsburgischen Niederlande konnte als melancholischer Rückblick der vereinten Provinzen gedeutet werden, das Kostüm des Malers hingegen ließe sich höchstens damit erklären, dass über die historische Bestimmbarkeit ein weiteres zeitliches, und damit historisches Element eingesetzt werden sollte, das sich mit der Fähigkeit der Malerei, Geschichte darzustellen, gut vertragen würde.
30 Neben der Metapher des Vorhanges ist hier selbstredend auch der Schleier angedeutet, jenes Velum, das das Bild ebenso enthüllt wie verschleiert, vgl. dazu ausführlich Krüger 2001.
31 James Welu (1975) konnte die Karte als eine Version der 1652 von Visscher edierten Karte identifizieren. Die editio princeps von 1636 hatte die Maße 103,5 x 145,5 cm. Erhalten sind nur noch drei Blätter von ehemals neun, vgl. Schilder I, 1986, 144f. und das Faksimile von drei Blättern (I, 4,1-3). Zur jüngeren Version s. Schilder I, 1986, 146-165, Faksimile 5, 1-14.
32 Vgl. Arasse (1996, 105) zur “unleserlich gemalten Karte” und der “Wahrheit des Gemalten” und Stoichita (1998, 293-95) zu Vorhang und Karte als “zeichengesättigten Flächen”, die selbst keine Gemälde sind, aber im Bild deutlich als gemalt und damit der ursprünglichen Funktion enthoben, gekennzeichnet sind.
33 Vgl. dazu Arasse 1996, 93f.
34 Nachdem Interpreten all das, was auf Vermeers Bild nicht zu erkennen ist, auf der identifizierten Karte selbst nachsehen konnten, wurde die Karte mit ihrem markanten Knick, der sie direkt bei Breda, und damit bei der historischen Grenze von nördlichen und südlichen Niederlanden, zu teilen scheint, zu einem erfolgversprechenden Spielfeld der Ikonographen. Auch Hedinger (1988, 115-118) ernennt die Karte zu einer “Geschichtslandschaft” und spitzt das Argument des gesamten Bildes ganz auf eine vaterländische Aussage zu.
35 Vgl. zur Anordnung von Karten und Bildern in niederländischen Haushalten: Loughman/Montias 2000.