Stadterweiterungen
Der vierte Exkursionstag stand ganz im Zeichen der Stadterweiterung. Ein Rundgang durch das Stadtviertel Salamanca zeigte die gründerzeitliche Anlage eines solchen geplanten Erweiterungsviertels, das jedoch – nach dem Abriss der begrenzenden Stadtmauer 1869 – nur sehr zögerlich bebaut wurde, nicht zuletzt aus Kapitalmangel, da es zwar in der Hauptstadt durchaus eine zahlungskräftige Oberschicht gab, die sich einzelne Paläste oder Repräsentativbauten erstellen konnte, es aber – im Vergleich zu dem industrialisierten Barcelona – völlig an einem breiteren aufsteigenden Bürgertum fehlte, während die Bauprojekte für die unteren Bevölkerungsschichten nach wie vor nicht erschwinglich waren. Die schließlich um die Jahrhundertwende einsetzende wirtschaftliche Entwicklung der Stadt sowie der Exportschub im Rahmen der neutralen Position Spaniens im 1. Weltkrieg brachten verspätet dann auch eine ausgedehntere Stadterweiterung mit sich. Als Paradestück jener Zeit gilt die Gran Via, die breite modernistische Straßenachse, die quer durch die Innenstadt führt, in den Jahren von 1918 bis 1932 mit imposanten Geschäftsbauten und Hochhäusern bestückt und durch großflächigen Abriss des Altbaubestandes in die bestehende Bausubstanz hineingebaut. Der derzeitige Umbau der Gran Via mit einer Verbreiterung der Gehsteige und einem Rückbau der Flächen für den Individualverkehr ist die Konsequenz aus der in den letzten Jahren wahrnehmbar gestiegenen Bedeutung dieser Straße als Haupt-Einkaufsmeile, besonders für die Pendler und die am Wochenende zuströmenden Besucherströme aus den Vororten. Nach der Unterbrechung durch die Zeit des Bürgerkrieges wurde die nächste Stufe der Stadterweiterung mit der Konsolidierung des Franco-Regimes eingeläutet. In Verlängerung der Süd-Nord-Achse der Stadt in Richtung Norden entstanden in den 1950er Jahren die sog. „Neuen Ministerien“, deren Architektur eindeutig Parallelen zum Reichsluftfahrtministerium (heute Bundesfinanzministerium) in Berlin aufweist. Danach zeigte uns ein Rundgang durch das Büroviertel AZCA das Resultat der Bemühungen einer City-Verlagerung heraus aus der Innenstadt (ca. 1965-1985). Obwohl dieses Viertel mit 17 stattlichen Hochhäusern für Büros und Banken mit etwa 27.000 Arbeitsplätzen sowie einem Kaufhaus und einem Einkaufszentrum durchaus City-Entlastungsfunktionen erfüllt, zeigte der Weg über den Süd-Nord-Boulevard „Castellana“ auch, dass sich die Bürofunktionen seit den 1960er Jahren weitgehend bandförmig entlang dieser Achse angesiedelt haben, deren Adresse nach wie vor einen hohen Prestigewert verzeichnet. In diesem Zusammenhang ist auch der Bau von vier imposanten Bürohochhäusern zu verstehen, die seit noch nicht allzu langer Zeit weithin sichtbar und bis 250 m hoch jenseits des nördlichen Endes der Castellana aufragen (2008 fertig gestellt). Um das Prestige dieser Adresse ging es auch bei dem nachmittäglichen Besuch bei der Stadtplanung, in ihrem Büro, das dezentral nahe dem modernen weitläufigen Messegelände am Madrider Stadtrand liegt. Hier wurde von dem Vertreter der derzeitigen Stadtregierung gezeigt, wie ihre Bemühungen aussehen, die Planung einer Verlängerung der Castellana durch die vorhergehende Stadtregierung zu revidieren. Anhand von Plänen und Vorher-nachher-Vergleichen wurde uns vor Augen geführt, wie das Überlassen des Planungsprozesses an die Privatwirtschaft (in diesem Fall ein Konsortium einer Bank zusammen mit einer großen Baufirma) darin resultieren kann, dass die Dimensionen des Machbaren und des Vertretbaren aus den Augen verloren werden. So waren durch das Projekt „Chamartin“, das öffentliche Flächen auf beiden Seiten des im Norden der Stadt liegenden Bahnhofsgeländes nutzen wird, weder die vorgeschriebenen Grünflächen-Anteile für die geplanten rund 20.000 Wohneinheiten gesichert, noch war eine Einbindung des neuen Stadtteils in die angrenzende Wohnbebauung gewährleistet, so dass abzusehen war, dass hier eine Wohnexklave im Hochpreis-Segment entstehen würde, die sich deutlich von den umliegenden Vierteln abgrenzen würde, deren Bevölkerung überwiegend aus der unteren Mittelschicht besteht. Hinzu kam ein geringer Nutzen für die öffentliche Hand, die zwar Flächen und Infrastruktur zur Verfügung stellen sollte – geplant war u.a. eine Vertunnelung eines angrenzenden Autobahnabschnitts – , jedoch keinerlei Nutzen, z.B. in Form von Sozialwohnungen, aus dem Projekt ziehen würde. Uns wurde überzeugend gezeigt, wie die jetzige Stadtplanung diese Mängel beseitigen und das Projekt in vernünftige Dimensionen reduzieren will. Zurück im Hotel hatte die Gruppe dann noch Gelegenheit, sich über die derzeitigen politischen Verhältnisse in Spanien zu informieren. Dr. Gero Maass, Leiter des Madrider Büros der Friedrich-Ebert-Stiftung, trug seine fachkundige Einschätzung der derzeitigen politischen Lage, der wirtschaftlichen Situation und speziell auch der Katalonienfrage vor und schuf damit einen größeren Rahmen zur Einordnung von den punktuell in Madrid gesehenen und den in der deutschen Presse berichteten jüngeren Entwicklungen.