Madrid kann sich kaum mit Moskau, Istanbul oder London vergleichen und geriert sich auch nur punktuell weltstädtisch, die metropolitane Region der spanischen Hauptstadt reiht sich jedoch der Einwohnerzahl nach sehr wohl weit vorne in die Liste der größten Ballungsräume Europas ein. Zu Recht. Zwei enorme Wachstumsschübe haben die mittelgroße Millionenstadt in den 1960ern und dann den 1990ern und frühen 2000er Jahren auf eine Kernstadt mit 3,3 Millionen und eine Stadtregion von insgesamt 6,5 Millionen Einwohnern anwachsen lassen und sie damit auf einen Rangplatz vor Berlin und Sankt Petersburg platziert. Die Gruppe der Voss-Stiftung kam mit dem expliziten Wunsch, diese Stadtregion kennenzulernen. Die kulturellen Highlights, die touristisch mit Madrid verbunden werden – vornan die großen Kunstmuseen – wurden schnöde in die wenigen zeitlichen Freiräume oder in die individuelle Verlängerung nach Exkursionsende verbannt, der Gruppe ging es vorrangig um das Sehen und Erleben der Stadtgeographie in all ihren Dimensionen. Leitfragen des fünftägigen (plus An- und Abreisetag) Besuches waren zum einen die historische Stadtwerdung und die Entstehung der Stadtgestalt sowie das Aufspüren von besonders signifikanten und persistenten historischen Einflüssen auf die Stadtentwicklung bis in die heutige Zeit. Zum anderen ging es um die wirtschaftlichen Grundlagen und die Lebensbedingungen in den verschiedenen Epochen, die sozialen Verhältnisse und die das Stadtbild differenzierenden Prozesse.
Historische Stadtentwicklung
Im Bestreben, die Stadtentwicklung chronologisch zu erschließen, bestand der erste Tag in der mühseligen Spurensuche nach den Anfängen der Siedlungsgründung unter den Arabern im 9. und der ab dem 11. Jh. folgenden Entwicklung zur kleinen mittelalterlichen Landstadt bereits unter christlichem Regime und als Festung im immer noch tobenden Frontenkampf zwischen Mauren und christlichen Eroberern. Prägend für den dem arabischen Alcázar bzw. dem heutigen Schloss nahe gelegenen Bereich waren dann die ersten neuzeitlichen Jahrhunderte, in denen die Habsburger Dynastie die Hauptstadt des vereinten und inzwischen mit großen überseeischen Besitzungen erweiterten spanischen Reichs von Toledo nach Madrid verlegte. Die Exkursion führte durch enge Gassen und musste viele Treppen und kleine, durchaus ermüdende Steigungen überwinden, um die sehr wohl noch vorhandenen Strukturen dieser Hauptstadtwerdung, die Straßenführung und die das Stadtbild prägenden Plätze, Paläste und Verwaltungsbauten aus jener Zeit zu sehen. Womit auch ein Großteil dessen, was touristisch unter der Madrider „Altstadt“ verstanden wird, eingeschlossen war – inklusive der repräsentativen Plätze wie der Plaza de Oriente, der Plaza de los Carros, der Plaza Mayor oder der Puerta del Sol. Leider wechselte in dieser Umgebung auch – ungewollt – eine erste Brieftasche den Besitzer, da in diesem Umfeld die Taschendiebe zwischen den sich drängelnden Touristengruppen ihre Chance sehen und wahrnehmen. Ein Besuch im medial sehr ansprechenden Museum für die frühe Stadtgeschichte (Museo San Isidro) unterstützte die Eindrücke dieser ersten Etappe. Am Ende des Tages konnten abschließend Anzeichen im Stadtbild für die nachhaltigen Auswirkungen der Bau- und Planungsaktivitäten der ab dem 18. Jh. regierenden Bourbonen-Dynastie wahrgenommen werden. Die Ausweitung von Gassen und Plätzen, unterstützt durch den Abriss von zahllosen Klosterbauten in der Säkularisierung, sowie die Anlage von breiten Flanier- und Repräsentations-Boulevards hat der engen inneren Stadt zum Rand hin Luft und auch etwas an Grünflächen verschafft.