Nach dem Fall der Berliner Mauer vor zwanzig Jahren als Folge des politischen Umbruchs im Osten wurde in der Presse der alten Bundesrepublik über Geheimhaltung und Verfälschung von Karten in der DDR berichtet.

Abbildung 1: Stadtplan Hauptstadt der DDR. Westberlin als weiße Fläche, unbewohntes Gebiet also, aber gut mit einer S-Bahn erschlossen und durch Übergangsstellen zugänglich. VEB Tourist Verlag 1988.
So titelte die Süddeutsche Zeitung am 27.05.1999 mit „Spiel mit gezinkten Karten“. „SED ließ auch Landkarten fälschen“ berichtete Die Welt am 20.06.1990. Unter der Überschrift „Amtliche Irreführung“ belegt Der Spiegel in Heft 34/1990, dass unter anderem das SED-Prominentengetto Wandlitz nicht in Landkarten eingetragen war.
In der DDR waren tatsächlich Landkarten entweder nicht zugängig oder nur mit reduzierten und verfälschten Informationen zu erhalten. Genaue amtliche topographische Karten waren denbewaffneten Organen vorbehalten. Dem DDR-Bürger standen zwar die Touristikkarten der Verlagskartographie zur Verfügung, aber diese waren nur begrenzt brauchbar. So war auf Stadtplänen der Hauptstadt der DDR Westberlin eine weiße Fläche, unbewohntes Gebiet also, das aber gut mit der S-Bahn erschlossen war und zu den Übergangsstellen führte.
Grenzgebiete waren in Karten, die dem Normalbürger der DDR zugänglich waren, zumeist nicht dargestellt; deshalb berichtete die Berliner Morgenpost hierüber unter dem Titel „Grenzenlose DDR“. In Straßenkarten wurde das Ausland – und keineswegs nur kapitalistische Länder, sondern auch der sozialistischen Bruderländer – nicht, oder mit einer bemerkenswert „verdünnten“ Landschaft gezeigt (Abb. 2).

Abbildung 2: Grenzgebiet der DDR. Bundesrepublik Deutschland und CSSR sind mit einer „verdünnten“ Landschaft ausgestattet. Reise- und Verkehrskarte 1:200.000, Blatt 7. VEB Tourist Verlag 1978.
Nach der Wende machten Kartenverlage der DDR mit Slogans wie „Unverzerrt“ oder „Neu – ohne Verzerrung“ Werbung für unverfälschte Karten. Die DDR-Bürger wussten, dass ihnen die SED-Führung weitgehend unbrauchbare Karten auftischte (Abb. 3).

Abbildung 3: Umschlagtitel von Stadtplänen, die mit „Unverzerrt“ und „Neu – ohne Verzerrung“ auf nunmehr unverfälschten Karteninhalt hinwiesen (Landesvermessungsamt Mecklenburg-Vorpommern und Verlag Geodäsie und Kartographie um 1990).
Fachleute im Westen hatten von der Geheimhaltung von Karten im Ostblock natürlich Kenntnis; auch die Manipulation von zugänglichen Karten war Experten bekannt. US-Militärs und europäischen Kartographen war wiederholt aufgefallen, dass kartographische Produkte nicht nur in der DDR, sondern im gesamten ehemaligen Ostblock und auch anderswo durch Verfälschung des Karteninhalts verfälscht wurden.
Das groteske, nur aus den völlig überzogenen Sicherheitsbedürfnissen der politischen Führung erklärbare Geheimhalten von Karten und das Verfälschen von Karteninhalten, wie es in den Staaten des Warschauer Pakts praktiziert wurde, ist indes nichts Neues. Topographische Karten enthalten nämlich Geoinformation von nicht nur militärischem Wert. Daher wurden und werden topographische Karten immer wieder aus Gründen der Landessicherheit oder früher zur Wahrung wirtschaftlicher Belange geheim gehalten oder inhaltlich verändert. Dies soll im Folgenden kurz aufgezeigt werden.
Geheime, falsche und gefälschte Karten
Der beträchtliche Wert guter Land- und Seekarten war schon immer Anlass, sie geheim zu halten oder zu verfälschen.
Die Mächtigen halten ihre Karten geheim
Entdeckungen von bisher unbekannten Gebieten wurden vor allem in der frühen Neuzeit geheim gehalten. Man wollte nicht, dass auch andere hiervon Kenntnis erhielten. Aber auch genaue Karten europäischer Gebiete blieben oftmals geheim.
Entdeckungsreisen
Die Ergebnisse der großen Entdeckungsreisen zu Beginn der Neuzeit waren von gewichtigem politischem und wirtschaftlichem Interesse, so dass Informationen hierüber – und somit auch Karten – lange geheim blieben und daher auch vielfach später verloren gingen. Unmittelbar nach der Entdeckung Amerikas durch Christoph Columbus im Jahre 1492 und des Seewegs nach Indien durch Vasco da Gama (1497) verschwanden Aufzeichnungen über die Wege dorthin in den Geheimarchiven Spaniens und Portugals in Sevilla und Lissabon. Die Weitergabe von Karten entdeckter Gebiete und Segelanweisungen stand unter Strafe; in Portugal drohten Folter und sogar Hinrichtung für das Abzeichnen von Karten.
Hundert Jahre später sorgte man sich auch in den Niederlanden um die Geheimhaltung von Informationen über die entdeckten Länder, die ja zu beträchtlichem Reichtum führten und so blieb jegliches Kartenmaterial hierüber geheim. Das Gebäude der Vereenigde Oostindische Compagnie, in welchem die See- und Landkarten verwahrt wurden, brannte Ende des 17. Jahrhunderts ab, sodass bis auf Ausnahme einiger weniger Kopien das gesamte Kartenmaterial verloren ging. Diese wenigen Kopien waren Bestandteil privat genutzter Kartensammlungen, so auch einige Karten im sog. Atlas van der Hem, der über Umwege nach Wien kam und dort zu den Zimelien der Kartensammlung der Österreichischen Nationalbibliothek zählt (Abb. 4).

Abbildung 4: Kartenausschnitt aus dem Atlas van der Hem. Kartensammlung der Österreichischen Nationalbibliothek (reproduziert mit Genehmigung der Österreichischen Nationalbibliothek, Bildarchiv).
Erst im 17. Jahrhundert ging die Geheimhaltung von Seekarten zurück und in den Niederlanden wurde die Publikation von Karten ein wichtiger Geschäftszweig.
Mitteleuropa wird kartiert
Im 16. und 17. Jahrhundert entstanden in Mitteleuropa erste topographische Landesaufnahmen und Regionalkarten. Regionalkarten dienten vorwiegend selbstbewussten Landesherren zur Dokumentation ihrer Territorien. Ihrem repräsentativen Zweck entsprechend und infolge der relativ kleinen Maßstäbe (rund 1:100.000 bis 1:750.000) stellten sie kein Risiko für die Landessicherheit dar und wurden deshalb in den meisten Fällen gedruckt.
Anders war dies bei den genauen Landesaufnahmen, die seinerzeit für die Verwaltung aber auch zu militärischen Planungen erstellt wurden. Sie hatten größere Maßstäbe, als die Regionalkarten. Die Ergebnisse dieser Landesaufnahmen durften deshalb nur in Ausnahmefällen gedruckt werden. In der Regel verblieben sie aus Gründen der Geheimhaltung als handgezeichnete Manuskriptkarten nur für wenige Nutzer zugänglich.
Befestigte Städte
Ansichten von Befestigungsanlagen und befestigten Städten unterlagen hauptsächlich bis zum Dreißigjährigen Krieg vorwiegend der Geheimhaltung und durften somit nicht durch Druck vervielfältigt werden. So konnte 1565 der Kartograph Daniel Specklin eine Karte von Straßburg nicht fertig stellen, weil sie die Befestigung der Stadt darstellte. 1608 fertigte Hieronymus Braun eine umfangreiche und detailreiche Stadtkarte von Nürnberg. Die Karte wurde von der Stadtverwaltung konfisziert und landete im geheimen Stadtarchiv.
Landesaufnahmen im 18. Jahrhundert
Vorreiter moderner Landesaufnahmen war in der Zeit des Spätabsolutismus Frankreich. Hier entstand ab 1746 die Carte de France; sie wurde zwischen 1765 und 1789 als Kupferstich gedruckt und war somit allgemein zugänglich. Erst Napoléon Bonaparte verhinderte die Publikation der letzten Blätter des Kartenwerks aus Gründen der Geheimhaltung. Im Gegensatz hierzu waren die meisten Landesaufnahmen europäischer Länder unzugänglich. So blieben Kartenaufnahmen in Preußen auf Befehl Friedrich II. geheim. In den ausgedehnten Ländern der österreichischen Donaumonarchie wurde als Folge der Defizite im Siebenjährigen Krieg ab 1765 eine erste Landesaufnahme bearbeitet. Diese Landesaufnahme war ein Geheimnis ersten Ranges.
Karten für Jedermann
Nach Beendigung der Napoleonischen Kriege erfolgte fast überall in Europa eine wesentliche Lockerung der Geheimhaltung von Karten. So wurden in den deutschen Ländern nach und nach die topographischen Karten gedruckt und somit der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Einzelne Regionen und Staaten blieben aber bis zum Ende des vergangenen Jahrhunderts bei der Geheimhaltung von Karten.
Im Deutschen Reich waren ab der Reichsgründung 1871 amtliche topographische Karten aller Maßstäbe frei erhältlich. Erst während des Ersten Weltkriegs gab es Verbote des Vertriebs von Karten der besetzten Gebiete. Ab 1935 wurde jedoch die Darstellung bestimmter militärischer Einrichtungen und Anlagen in amtlichen topographischen Karten untersagt. Zu Beginn des Zweiten Weltkriegs wurden dann umfangreich Verbote und Maßnahmen zur Geheimhaltung topographischer Karten erlassen.
Nach dem Zweiten Weltkrieg ist die Geheimhaltung topographischer Karten auch heute noch in vielen Staaten üblich. So sind Karten bis zum Maßstab 1:1 Million selbst in einigen westlich orientierten Staaten nicht zugänglich.
Fälschen und Verfälschen
Falsche bzw. verfälschte kartographische Darstellungen gab es sicherlich bereits früher; eindeutig nachweisbar sind sie aber erst ab dem 18. Jahrhundert. Unter falschen Karten sind dabei solche zu verstehen, die etwa Entdeckungsreisen durch Falschinformation verhindern oder militärische Gegner täuschten sollen. Falsche (gefälschte) Karten sind auch „geschönte“ Karten, mit der man etwa Siedler für eigentlich wenig geeignete Kolonialgebiete anlocken wollte.
Eine Fälschung von Karten liegt vor, wenn eine Manuskriptkarte in betrügerscher Absicht auf altem Papier oder gar Pergament gezeichnet wird und eine unrichtige oder manipulierte Geographie aufweist. Solche Kartenfälschungen kennt die Kartographiegeschichte mehrfach; zumeist konnten ihre Macher hohe Geldgewinne erzielen. Aufgedeckt werden solche Fälschungen durch Altersbestimmungen des bezeichneten Papiers oder Pergaments und durch eine Analyse der Tintenrezeptur.
Verfälschte Karten sind solche, die irreführen sollen, vor allem den militärischen Gegner täuschen sollen. Verfälschte Karten werden auf der Grundlage richtiger Karten erstellt, die es im Gegensatz zu gefälschten Karten gibt, die aber infolge einer Geheimhaltung nicht zugänglich sind. Ein derartiges Verfälschen von Karten kann durchaus mit Tarnung umschrieben werden.
Solche verfälschte, also bewusst veränderte und damit irreführende Darstellungen sind schon für das 18. Jahrhunderts verbürgt. So durfte eine von Joseph Daniel von Huber um 1770 gefertigte Stadtkartierung Wiens erst gedruckt werden, nachdem er auf Anordnung des Hofkriegsrates die Darstellung der Festungsanlagen so veränderte, dass sie nicht mehr der Realität entsprechen. Abb. 5 gibt links die Originalzeichnung wieder; rechts ist der entsprechende Ausschnitt der gedruckten Karte zu sehen. Hier ist die Stadtbefestigung im Grundriss verändert, aber vor allem erscheint sie höher und mächtiger.
Einen Höhepunkt der Verfälschung von Karten gab es in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts in den seinerzeitigen Ostblockstaaten, welche unter Anleitung der Sowjetunion geschah. Darauf ist umfangreich einzugehen.

Abbildung 5: Die Scenographie oder Geometrisch Perspect: Abbildung der Kayl: Königl: Haubt: u: Residenz Stadt Wien in Oesterreich von Joseph Daniel von Huber, um 1770.
Sowjetische Kartographie
Nach der Oktoberrevolution und dem folgenden Bürgerkrieg erhielt die Kartographie in der 1922 gegründeten Sowjetunion einen hohen Stellenwert; Wladimir I. Lenin erließ Dekrete zu Geodäsie und Kartographie und deren Organisationsformen (Salistschew 1967). In den dreißiger Jahren übernahm jedoch die Geheimpolizei die Kontrolle über kartographische Institutionen und Produkte.
Stalin ordnet Geheimhaltung an
Bald danach erfolgten auf Anordnung von Joseph Stalin die strenge Geheimhaltung von Karten und die Verfälschung von Inhalten der noch zugänglichen Karten. In der Regel gänzlich geheim gehalten waren bis zum Ende der Sowjetunion topographische Karten mit Maßstäben ab dem Maßstab 1:1 Million. Somit war auch die Internationale Weltkarte (IWK) im Maßstab 1:1 Million geheim. Dieses Kartenwerk wurde – seit der Veranlassung durch den deutschen Geographen Albrecht Penck im Jahre 1890 – für das Festland unserer Erde in internationaler Zusammenarbeit hergestellt und war in den meisten Staaten zugänglich. Die Internationale Weltkarte war nach dem Zweiten Weltkrieg auch in den von der Sowjetunion abhängigen Staaten Verschlusssache und stand somit – trotz des kleinen Maßstabs und somit in absurder Weise – nur den Herrschenden zur Verfügung.
Die zumindest für einen Teil der Bevölkerung zugänglichen Karten kleinen Maßstabs waren durchweg durch inhaltliche Defizite und Verfälschungen wenig brauchbar und irreführend.
Aber selbst in der Sowjetunion war es nicht möglich, Karten insgesamt unter Verschluss zu halten. Somit waren nach und nach auch Karten in größeren Maßstäben, wie etwa auch Stadtpläne erhältlich. Durch fehlende Maßstabsangaben und inhaltliche Verfälschungen waren sie aber nur bedingt tauglich.
Falsche Karten – Wahrung militärischer Sicherheit
Die Verfälschung topographischer Karten zur militärischen Sicherheit im Sinne der Tarnung kann als ein durchaus legitimes militärisches Mittel angesehen werden. Dies wurde von der Sowjetunion genutzt und brachte der Roten Armee im Zweiten Weltkrieg Vorteile. Die deutsche Wehrmacht musste während des Zweiten Weltkriegs erkennen, dass ihr von den Sowjets verfälschte Karten zugespielt wurden.
Die sowjetischen Dienste arbeiteten erfolgreich. So standen der Wehrmacht zur Schlacht um Moskau Karten zur Verfügung, in welchen ausgebaute Straßen sowie Ortschaften eingetragen waren. Die Ortschaften und ihre Namen waren fingiert, die Straßen gab es nicht. Tatsächlich war das Gebiet mit zahlreiche Schluchten und Sümpfen für einen militärischen Vormarsch denkbar ungeeignet (Kalinow 1950).
Nach dem Zweiten Weltkrieg erfolgten – wohl auch auf Grund eines traumatischen Sicherheitsbestrebens der Sowjetunion nach dem Überfall Hitlers – umfassend neben der Geheimhaltung von Karten auch Verfälschungen von Karten aller Art. Mitte der sechziger Jahre verschärfte sich dies und nun wurden auch die Satellitenstaaten mit einbezogen.
Ein Weltkartenwerk mit Mängel
Zwischen 1964 und 1978 entstand als Gemeinschaftswerk der sozialistischen Staaten Bulgarien, ?SSR, DDR, Polen, Rumänien, UdSSR und Ungarn das Kartenwerk Karta Mira im Maßstab 1:2,5 Millionen. Die Karta Mira deckte die gesamte Erdoberfläche ab und war mit einem lateinischen Alphabet beschriftet. Die Kartenblätter für Südamerika wurden von kartographischen Betrieben der DDR bearbeitet.
Allerdings lieferte das Kartenwerk im Bereich der Sowjetunion auch verfälschte Informationen, worauf im Folgenden eingegangen wird.
Merkwürdige Wanderungen
Verfälschungen von Karteninformationen wurden jedoch nicht nur bei topographischen Karten durchgeführt, sondern auch in Karten kleineren Maßstabs, die militärisch und strategisch belanglos waren. Deutsche Kartographen, die nach dem Zweiten Weltkrieg im westlichen Teil Deutschlands neue Atlanten herstellten und hierzu unter anderem den Großen Atlas der Sowjetunion von 1939 und später den modernen sowjetischen Atlas Mira nutzen wollten, stellten zumindest Ungereimtheiten fest. Der Atlas Mira erschien erstmals 1954; die zweite Ausgabe erfolgte 1967 in zwei Versionen, zum einen mit kyrillscher Beschriftung und zum anderen in englischer Sprache mit lateinischer Schrift.
Fachdienste der US-Armee bemerkten diese Verfälschungen gleichfalls. Anfang der 1980er Jahre stellten sie merkwürdige Wanderungen der Ortschaften Salmi am Ladogasee und Logaškino an der Küste des Ostsibirischen See fest und dokumentierten dies (Anonym 1970). Über diese Wanderungen berichteten auch der amerikanische Kartograph Monmonier (1991 und 1996) und niederländische Fachleute. Vom Verfasser wurden diese Wanderungen nachvollzogen, überprüft und später erweitert (Brunner 2002 und 2003).
Im Folgenden werden diese merkwürdigen Wanderungen am Beispiel der Ortschaften
- Sestroreck (kyrillisch: ??????????), nordwestlich von Sankt Petersburg mit 60°06′ nördlicher Breite und 29°58′ östlicher Länge
- Salmi(?????), am Ostufer des Ladogasees mit 61°22′ nördlicher Breite und 31°53′ östlicher Länge
- Logaškino (?????????), an der Küste des Ostsibirischen See mit 70°51′ nördlicher Breite und 153°55′ östlicher Länge
anhand von Karten aus dem
- Bolschoi Sowjenski Atlas Mira (Großer Weltatlas der Sowjetunion) von 1939
- Atlas Mira (Weltatlas), Auflagen von 1954 (erste Auflage) und 1967 (in englischer Beschriftung; siehe oben)
- Atlas SSSR (Atlas der UdSSR) von 1962 und 1969
sowie der
- Karta Mira, Maßstab 1:2,5 Millionen von 1967 (siehe weiter oben) gezeigt.

Abbildung 6: Kartenausschnitt aus dem Atlas der UdSSR, Auflage 1962: Die Städte Sestroreck und Salmi sind korrekt eingetragen.
Die Stadt Sestroreck (??????????), am Nordufer des finnischen Meerbusens, westlich von Sankt Petersburg (von 1924 bis 1991: Leningrad (?????????)) gelegen, wechselt wiederholt ihre Lage von der (korrekten) westlichen Seite des 30°-Meridians auf die östliche Seite. Korrekt eingetragen ist die Stadt im Atlas der UdSSR (c), Ausgabe 1962 (Abb. 6). Östlich des Meridians, also verfälscht, findet sich Sestroreck sowohl im Atlas Mira (b), Auflage 1967 (Abb. 7) als auch in der Karta Mira (d) von 1967 (Abb. 8).
Die Stadt Salmi (?????) an der Ostküste des Ladogasees, findet sich ebenso abwechselnd westlich und östlich des 32°-Meridians positioniert. Karelien und somit auch Salmi musste 1940 von Finnland an die Sowjetunion abgetreten werden; daher war der Eintrag im Großen Weltatlas der Sowjetunion (a) von 1939 korrekt. Auch in der ersten Auflage des Atlas Mira (b) von 1954 und im Atlas der UdSSR (c), Ausgabe 1962 (Abb. 6) ist die Lage der Stadt Salmi richtig. Ab 1967 wandert sie aber nach Osten: im Atlas Mira (b), Auflage 1967 (Abb. 7), in der Karta Mira (d) von 1967 (Abb. 8) und im Atlas der UdSSR (c), Ausgabe 1969 ist die Ortschaft rechts des 32°-Meridians zu finden (Brunner 2002).
Sogar im äußersten Sibirien blieb alles in Bewegung: die Siedlung Logaškino (?????????) nahe der Küste der Ostsibirischen See am Fluss Alaseja, wechselte auf Karten nach 1965 die Flussseite und die Lage zum
154°-Meridian (Brunner 2002).
Dies soll beispielhaft für die Vermittlung falscher Informationen in zugänglichen Karten der Sowjetunion bis Ende der achtziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts sein. Ein verordnetes, sinnloses Verwirrspiel, das keinem Sicherheitsbestreben nützen konnte.

Abbildung 7: Kartenausschnitt aus dem Atlas Mira, Auflage 1967: Die Städte Sestroreck und Salmi liegen falsch östlich des 30°- bzw. des 32°-Meridians.

Abbildung 8: Kartenausschnitt aus der Karta Mira von 1967: Die Städte Sestroreck und Salmi liegen falsch östlich des 30°- bzw. des 32°-Meridians.
Perestroika und Glasnost
Nach dem politischen Umbruch in den sozialistischen Ländern und dem Ende der Sowjetunion im Jahre 1991 wurden im Rahmen von Perestroika und Glasnost die Verordnungen zur Geheimhaltung und Verfälschung von Karten aufgehoben; danach und gegenwärtig sind Karten Russlands auch in größeren Maßstäben – zumindest meistens – zugänglich.
Viele dieser Maßnahmen zur Geheimhaltung und Verfälschung von Karten in der Zeit von 1930 bis 1990 sind aus dem Spannungsverhältnis zum Westen und dem Kalten Krieg her zu verstehen. Der wirkliche Kalte Krieg der Kartographie spielte sich aber in den militärisch relevanten topographischen Karten ab.
Fälschung der Landschaft – Potemkin lässt grüßen
In Russland wurden aber nicht nur Karten als Darstellung der Landschaft gefälscht sondern auch die Landschaft selbst. Aus Anlass des Besuchs von Kaiserin Katherina der Großen auf der Krim im Jahre 1787 soll Fürst Grigorij A. Potemkin, seit 1774 Günstling und engster Berater der Kaiserin, einen Befehl zur Errichtung von Dorfattrappen gegeben haben, um der Zarin einen nicht vorhandenen Wohlstand in dieser Region vorzutäuschen (Potemkinsche Dörfer).

Abbildung 9: Brest-Litowsk in der amtlichen polnischen topographischen Karte im Maßstab 1:25.000. Zusammensetzung von Blatt 4037-C Brzesc und Blatt 4037-F Terespol, 1925.
Nach dem Deutsch-Sowjetischen Nichtangriffspakt (Hitler-Stalin-Pakt) und dem folgenden Einmarsch deutscher und sowjetische Truppen im September 1939 wurde Polen in einem geheimen Zusatzprotokoll zum deutsch-sowjetischer Grenz- und Freundschaftsvertrag vom 28. September 1939 Polen entlang der Flüsse Narew, Bug und San in ein deutsches und ein sowjetisches Gebiet aufgeteilt. Im Bereich von Brest-Litowsk sollte dabei der Fluss Bug die Grenze bilden; dieser floss durch die Zitadelle von Brest-Litowsk (Abb. 9).
Vor dem Eintreffen deutscher Truppen haben jedoch sowjetische Einheiten den Bug durch Wassergräben umgeleitet, so dass das gesamte westliche Vorfeld der Zitadelle östlich des Bugs im sowjetischen Einflussbereich lag (Pillewizer 1986).
Dies lässt sich gut durch topographische Karten belegen. Abb. 9 zeigt einen zusammengesetzten Ausschnitt aus den amtlichen polnischen topographischen Karten im Maßstab 1:25.000 von Blatt 4037-C Brzesc und Blatt 4037-F Terespol vom Jahre 1925. Der Fluss Bug fließt durch die Zitadelle. Abb. 10 bringt einen Ausschnitt aus der sowjetischen topographischen Karte im Maßstab 1:50.000, Blatt N-34-144-G ????? (Brest) vom Jahre 1986. Der verlegte Wasserlauf verblieb östliche Staatsgrenze der Sowjetunion und bald darauf von Weißrussland.

Abbildung 10: Brest-Litowsk in der sowjetischen topographischen Karte, Maßstab 1:50.000, Blatt N-34-144-G ????? (Brest), 1986.
Potemkinsche Dörfer gab es dann noch im Verlaufe des Zweiten Weltkriegs. In der Schlacht am Kursker Bogen im Juli/August 1943 hatten sowjetische Einheiten wohl erstmals die Möglichkeit, sich auf einen deutschen Angriff vorzubereiten. So bauten sie falsche Flughafenanlagen voller Sperrholzflugzeuge und Aufmarschstellungen mit Panzerattrappen und täuschten damit die Wehrmacht erfolgreich über die wahren Stellungen der Roten Armee.
Der Kalte Krieg und die Kartographie der DDR
Die zunehmende Konfrontation der beiden Blöcke nach dem Zweiten Weltkrieg hatte auch für die Kartographie Konsequenzen, die nach dem Mauerbau in Berlin 1961 und der Kubakrise 1962 besonders deutlich wurden. Der Kalte Krieg hatte zur Folge, dass die meisten europäischen Staaten ihre Kartenwerke modernisierten; diese waren zunächst im Allgemeinen zugänglich.
Ab 1965 standen jedoch amtliche topographische Karten in den Staaten des Warschauer Pakts ausschließlich den Militärs zur Verfügung. Auf der VII. Konferenz der Geodätischen Dienste der sozialistischen Länder vom 15. bis 25. September 1965 in Moskau wurde von der Sowjetunion angeordnet, dass die Nutzung topographischer Karten auf die bewaffneten Organe beschränkt sein musste. Weiter wurde verlangt, dass in zugänglichen Karten mit Maßstäben größer 1:1 Million das Kartengitter und geographische Netzlinien zu verzerren seien und der Karteninhalt Lageungenauigkeiten beinhalten müsse. Am 13. Oktober 1965 erfolgte der entsprechende Beschluss des Nationalen Verteidigungsrates der DDR.
Karten der DDR
Nach Gründung der DDR im Jahre 1949 geschah zunächst eine Weiterbearbeitung der alten Reichskarten. Ab Mitte der fünfziger Jahre wurde eine völlig neue Bearbeitung topographischer Karten nach dem Vorbild der Sowjetunion im einheitlichen sowjetischen Koordinatensystem 42 auf der Grundlage des Erdellipsoids von Krassowsky begonnen. Es entstanden erstklassige Karten in den Maßstäben 1:10.000, 1:25.000, 1:50.000, 1:100.000, 1:200.000, 1:500.000, 1:1 Million und 1:1,5 Millionen (Haack 1996; Schirm 1993).
Ein Dekret von 1965
Gemäß Beschluss des Nationalen Verteidigungsrates der DDR von 1965 (siehe oben) wurden diese Karten ausschließlich als Vertrauliche Verschlusssache (VVS) für die bewaffneten Organe erstellt. Neben diesen topographischen Karten, die als Ausgabe Staat (AS) vom Ministerium für Nationale Verteidigung herausgegeben wurden, entstanden nun zusätzlich Karten für die Verwaltung, die Ausgabe Volkswirtschaft (AV), welche vom Ministerium des Inneren herausgegeben wurden.
Ausgabe für die Volkswirtschaft
Die Ausgabe Volkswirtschaft unterschied sich zur Ausgabe Staat durch inhaltliche Defizite (TPs, Höhenkoten topographisch interessanter Punkte, usw. fehlten), Verzerrungen sowie das Weglassen und Verfälschen größerer Bereiche, wie militärischer Einrichtungen und Wohnanlagen.
Weiterhin hatten die AV-Karten eine andere Blattnummerierung und Veränderungen an der Kartenbegrenzungslinie durch Drehungen und Scherungen im Bereich von etwa einem Millimeter. Als Kartengitter fand das Gauß-Krüger-Gitter der alten Reichskarten von vor 1945 Verwendung, wobei der Hochwert unterschiedlich um ca. 100 m verschoben war.
Die hohe Qualität der Ausgabe Staat wurde also wesentlich gemindert. Hierzu wurden von Militärgeographischen Dienststellen des Ministeriums für Nationale Verteidigung so genannte Tarnungsvorlagen im Maßstab 1:10.000 erstellt (Abb. 11), die zu tilgende Karteninhalte und die Versetzung der artenbegrenzungslinie festlegten. Diese Tarnungsvorlagen dienten zunächst der Bearbeitung der AV-Karte im Maßstab 1:10.000 (Abb. 12) und dann den Folgemaßstäben.

Abb. 11: Kartenausschnitt aus der gezeichneten Tarnungsvorlage für das Blatt M-32-46-B-3 im Maßstab 1:10.000. Abb. 12: Ausschnitt aus der Topographischen Karte 1:10.000 (Ausgabe für die Volkswirtschaft), Blatt 1303-213 (Gotha-Siebleben O).

Abb. 13: Ausschnitt aus der Topographischen Karte 1:25.000 (Ausgabe Staat), Blatt M-32-46-B-a (Gotha O). Abb. 14: Ausschnitt aus der Topographischen Karte 1:25.000 (Ausgabe für die Volkswirtschaft), Blatt Gotha O.

Abb. 15: Ausschnitt aus der Topographischen Karte 1:100.000 (Ausgabe Staat), Blatt Dresden. Abb. 16: Ausschnitt der Topographischen Karte 1:100.000 (Ausgabe für die Volkswirtschaft), Blatt Dresden.
Es verbleibt noch darauf hinzuweisen, dass selbst die AV-Karte Vertrauliche Dienstsache (VD) und somit schätzungsweise nur für etwa 5% der DDR-Bevölkerung zugänglich war.
Karten für den Tourismus
In der DDR wurde unter Verlagskartographie der Bereich der Kartenproduktion verstanden, der Karten für die Öffentlichkeit herstellte, die über den Buchhandel vertrieben wurden. Die Verlags-kartographie unterstand seit 1964 dem Ministerium für Kultur (Pustkowski 1981). Diese Produkte waren Atlanten und Karten für den Tourismus. Auch hier waren Manipulationen und Verfälschungen des Karteninhalts die Regel (Pobanz 2002).
So fehlten in diesen Produkten nicht nur militärische Einrichtungen und jene der Staatsicherheit, sondern auch Industrie- und Eisenbahnanlagen wurden zumindest stark vereinfacht dargestellt. Ab 1967 erhielten Stadtpläne durch einen gleitenden Maßstab Verzerrungen, die keine Streckenmessungen zuließen. Überdies fehlten Maßstabsleisten und der numerische Maßstab war allenfalls als Zirka-Angabe angegeben. Nach 1961 wurde in Stadtplänen der Hauptstadt der DDR das besondere politische Gebiet Westberlin als nicht besiedeltes Gebiet abgebildet (Abb.1). Für Tourismuskarten mussten die Blattschnitte so verändert werden, dass die Staatsgrenze und grenznahe Gebiete nicht mehr Inhalt der Karten waren. Wanderkarten waren inhaltsarm und wiesen Verzerrungen auf. Diese mangelnde Qualität führte oftmals zu Beschwerden der Kartenbenutzer.
Die Wende
Bereits 1990 gab die Verlagskartographie unverfälschte Stadtpläne und Tourismuskarten heraus und machte hierfür einschlägige Werbung (Abb.3). Nach der Wiederherstellung der Länder im Juli 1990 bearbeiteten die nun gegründeten Landesvermessungsämter die einst zentral bearbeiteten Karten der korrekten Ausgabe Staat (AS) als für jedermann zugängliche amtliche topographische Karten auf Länderebene weiter. Lediglich der Blattschnitt wurde so geändert, dass er jenem der alten Reichskarten und dem der alten Bundesrepublik entsprach. Die Karten der Ausgabe Volkswirtschaft (AV) wurden Makulatur.
Nach genau 25 Jahren standen für diesen Teil Deutschlands also wieder für jedermann genaue topographische Karten zur Verfügung. Der Unfug der Geheimhaltung und Verfälschung hatte nun ein Ende. Eine volkswirtschaftlich nicht akzeptable Doppelbearbeitung, welche die Volkswirtschaft behinderte und unmündige Bürger desinformierte, gab es nicht mehr.
Der Nutzen der 1965 gefassten Beschlüsse war gleich Null. Die NATO hatte geeignete genaue Kartenwerke. Den Schaden hatte lediglich die eigene Bevölkerung.
Bibliographie
Anonym: Soviet Cartographic Falsification. In: The Military Engineer 62 (1970) 6, Washington D.C. pp. 389-391.
Brunner, K.: Geheimhaltung und Verfälschung von Karten aus militärischen und politischen Gründen. In: Unverhau, D. (Hrsg.): Kartenverfälschung als Folge übergroßer Geheimhaltung? Eine Annäherung an das Thema Einflußnahme der Staatssicherheit auf das Kartenwesen der DDR. Referate der Tagung des BStU vom 08.-09.03.2001 in Berlin. Archiv zur DDR-Staatssicherheit Band 5, Münster 2002, S. 161-175.
Brunner, K.: Geheimhaltung topographischer Karten und Manipulation ihres Inhalts. In: Allgemeine Vermessungs-Nachrichten 110 (2003) 5, S. 183-188.
Haack, E.: Dokumentation über die Herstellung und Fortführung der amtlichen Kartenwerke der ehemaligen DDR (1945-1990). In: Nachrichten aus dem Karten- und Vermessungswesen Reihe I-116, Frankfurt/Main 1996, S. 5-59.
Kalinow, K. D.: Sowjetmarschälle haben das Wort, Hamburg 1950.
Monmonier, M.: How to Lie with Maps, Chicago 1991.Monmonier, M.: Eins zu einer Million. Die Tricks und Lügen der Kartographen, Basel, Boston und Berlin 1996.
llewizer, W.: Zwischen Alpen, Arktis und Karakorum. Fünf Jahrzehnte kartographische Arbeit und glaziologische Forschung, Berlin 1986.
Pobanz, W.: Topographische Veränderungen in den Karten der Verlagskartographie der DDR. In: Unverhau, D. (Hrsg.): Kartenverfälschung als Folge übergroßer Geheimhaltung? Eine Annäherung an das Thema Einflußnahme der Staatssicherheit auf das Kartenwesen der DDR. Referate der Tagung des BStU vom 08.-09.03.2001 in Berlin. Archiv zur DDR-Staatssicherheit Band 5, Münster 2002, S 193-212.
Pustkowski, R.: Die Verlagskartographie in der Deutschen Demokratischen Republik. Ein Beitrag zu Entwicklung und Aufgaben, Gotha 1981.
Salistschew, K. A.: Einführung in die Kartographie, Gotha und Leipzig 1967.
Schirm, W.: Die topographischen Kartenwerke der DDR. In: Kartographisches Taschenbuch 1992/93, Bonn-Bad Godesberg 1993, S. 13-20.
Unverhau, D. (Hrsg.): Kartenverfälschung als Folge übergroßer Geheimhaltung? Eine Annäherung an das Thema Einflußnahme der Staatssicherheit auf das Kartenwesen der DDR. Referate der Tagung des BStU vom 08. – 09.03.2001 in Berlin. Archiv zur DDR-Staatssicherheit Band 5, Münster 2002
Autoren
Prof. Dr. Kurt Brunner
Lehrstuhl für Kartographie und Topographie
Universität der Bundeswehr München
Werner-Heisenberg-Weg 39
85577 Neubiberg