Von Esquel nach Río Grande
Rio Grande, 9. Februar 1989
Liebe Freunde!
Beim letzten Mal habe ich mich aus Esquel gemeldet, jetzt müsst Ihr mit dem Finger auf der Landkarte ein gewaltiges Stück nach Süden fahren, weit über 1200 km, denn ich bin in Rio Grande auf Tierra del Fuego (Feuerland).
Da ich mich in diesem Land mittlerweile sehr gut zurechtfinde, habe ich beschlossen, von nun an größere Strecken per Autostop zurückzulegen. Das schont nicht nur die Reisekasse, sondern bringt mich auch Land und Leuten noch näher. So wartete ich in Olivia Galeta stadtauswärts an einem Polizeiposten auf das, was kommen würde, als auch schon ein großer Pickup mit einem Ingenieur hielt, der mich weiter mit nach Süden nehmen wollte. Wie hier üblich, zeigte er mir auch gleich Photos von seinen Kindern, während permanent das Sprechfunkgerät piepste. Plötzlich aber wies er in der weiten endlosen Trockensteppe nach rechts und meinte, daß in 60 oder 70 km, am Ende dieser langen staubigen Piste, eine Ölpumpstation stehe, die er jetzt warten müsse. Ich jedoch wollte weiter nach Süden, so daß er mich an der Abzweigung absetzte und mit einem Staubschleier am Horizont verschwand. Da es bis zur nächsten Siedlung noch 50 km waren, prüfte ich zunächst meine Wasservorräte, denn der Autoverkehr ist hier unten natürlich recht dürftig, und ich stand bei Gluthitze und dem ewig über das Land heulenden Wind mitten in der Pampa. Doch ich hatte Glück, denn eine gerade aus dem Norden vom Urlaub zurückkehrende Familie nahm mich in ihrem kleinen Fiat bis nach Fitz Roy mit.
Eine Tankstelle, sechs oder sieben Häuser, ein Wassertank, zwei Wasserräder, eine Grundschule, Hitze, ewiger starker Wind, ein paar Hunde, Schafe und Hühner und ein Hotel: das ist Fitz Roy. Als ich an der Tankstelle um die Ecke gehen wollte, hätte mich der Wind beinahe umgeblasen. Doch ich erreichte das Hotel, und als ich die klapprige Tür zu diesem klapprigen Quartier öffnete, empfingen mich lächelnd eine zahnlose Oma und ihr zahnloser Enkel, die gerade mitten im Raum Billard spielten. (Schade, dass man nicht alles photographieren kann!) Und da ich an diesem Abend der einzige Gast war(später kamen noch ein paar Viehtreiber zum Bier), hat man mich auch bestens versorgt.
Am nächsten Morgen bin ich dann früh aufgestanden und, nachdem mir die Oma noch ein gutes Frühstück gemacht hatte, wieder zur Straße zurück gegangen. Aber bevor ich meinen Rucksack abstellen und den Daumen in den Wind halten konnte, hielt auch schon ein großes schickes Auto. José Andres, ein Geschäftsmann aus der Provinz Pampa, lud mich ein, mit ihm nach Süden zu fahren, denn er hatte überhaupt keine Lust, diese gewaltige Strecke alleine zu bewältigen. Immerhin wollte er nach Feuerland, und dagegen ist die Transitstrecke nach Berlin ein Sonntagsausflug. Bis Rio Gallegos, der Hauptstadt der Provinz Santa Cruz (160.000 EW auf 250.000 km2) fuhren wir ganz zügig auf der asphaltierten Nationalstraße. Aber südlich davon mussten wir uns hunderte von Kilometern über steinige und staubige Pisten quälen. Hin und wider kam uns ein großer LKW der Firma MAYER entgegen, bombardierte uns mit Steinen und hüllte uns in Staub ein, vergaß aber nie, vorher mit aufgeblendeten Scheinwerfern zu grüßen. Entweder haben die Autos hier Schutzgitter vor Kühler und Windschutzscheibe, oder man fährt grundsätzlich mit zerborstenen Scheiben durch die Gegend. Ich habe mich auf jeden Fall gefühlt wie auf einer Expedition ans Ende der Welt, und irgendwann am späten Abend setzten wir auf der chilenischen Seite mit einer Fähre über die Magellanstraße über. Die Landschaft ist zwar an beiden Ufern immer noch so kahl wie gewohnt, aber es ist doch ein erhebendes Gefühl, plötzlich an einem Ort zu sein, dessen großer Name einem bisher nur Fernweh eingeflößt hat: Magellanstraße.
Doch selbst an diesem wunderschönen Sommertag mit blauem Himmel blies der Wind so stark, dass man kaum stehen konnte. Kein Wunder, dass diese Gegend so manchem Kapitän die nackte Angst durch die Knochen jagt. Auf einer Karte, die ich hier in Rio Grande fand, sind alle Wracks eingezeichnet. Es ist ein wahrer Schiffsfriedhof!
Mit diesen Eindrücken vom anderen Ende der Welt grüßt Euch für heute herzlich,
Euer Christoph