Von Córdoba nach Esquel
Esquel, 30. Jan. 1989
Liebe Freunde,
weil im Norden, in Cordoba die Hitze mit Tagestemperaturen von 35-38°C schon gemein war, bin ich mit verbrannter Haut in den Süden geflohen.
Letzte Woche war ich noch in Bariloche, am Ostrand der Anden, am See namens Nahuel Huapi. Es ist ein Ort, von dem die Argentinier sagen, er sei einer der schönsten des Landes: ein wunderschöner tiefblauer See (na klar, Eiszeit!), umgeben von den gewaltigen Bergen der Südkordilleren. Der Hausberg von San Carlos de Bariloche heißt Cerro Otto, ein untrügliches Zeichen dafür, dass sich hier Deutsche, Österreicher und Schweizer niedergelassen haben. „Man spricht deutsch“ steht an einem Schaufenster, hinter dem Unmengen von Kuchen und Torten in der Auslage liegen, etwas was es sonst in diesem Land nur äußerst selten gibt. Aber jeder Argentinier weiß, was Kuchen heißt und daß das die Deutschen wohl sehr gerne essen müssen. Die ganze Stadt hat einen Hauch von Schweizer Chalet, mit zwei Schokoladen-fabriken und einer Kirche, wie man sie sonst nur am Zürichsee finden kann. Aber da dieses Gebiet gerade wegen seiner Schönheit Urlaubsziel für argentinische Familien ist – und wir haben hier die Zeit der Sommerferien – wurde es Zeit für mich, weiterzuziehen …
Es ist eine Reise ans Ende der Welt! Chubut heißt die Provinz, in der ich mich gerade befinde. Mit vielleicht 200.000 km2 (im Vergleich: die BRD hat 249.000 km2) ist es eine der größten Provinzen Argentiniens. Doch auf dieser riesigen Fläche leben gerade einmal 262.000 Menschen, dafür aber 6 Mill. Schafe. Die Anden sperren den Regen ab, so daß das ganze Land eine gewaltige Trockensteppe ist, im Westen mit großen bizarren, vegetationslosen Bergen, die spärlich bewachsene Hochebenen umgeben, und im Osten wird es wohl völlig eben sein. Was für ein Anblick! Dennoch, gerade solche scheinbar trostlosen Gegenden habe, wie Ihr wißt, ihre eigene Faszination, der man sich nicht entziehen kann [Anm. der Red.: mehrere Adressaten der Briefe waren leidenschaftliche Wanderer].
Esquel, wo ich mich gerade befinde, ist wirklich ein gottverlassenes Nest, wo ständig ein starker kalter Wind Staubwolken durch die teilweise ungeteerten Straßen fegt. Aber die Sonne brennt heiß, und genau so sehen die Gesichter der Menschen aus: sonnenverbrannt und kantig mit zusammengekniffenen Augen, als seien sie vom ewigen Wind geschliffen. Die skurrilsten Figuren aber sind wohl die Gauchos, die oft tagelang draußen unterwegs sind. Wenn sie hierher in die Stadt kommen und sich ausgehfein machen, tragen sie zu ihren Stiefeln Pluderhosen, gehalten von einer breiten bunten Schärpe statt eines Gürtels und darüber bunte Hemden mit roten Halstüchern und natürlich einem Hut. Und: allzu viele Worte verliert man hier, im tiefen, tiefen Süden, auch nicht.
So will auch ich nun schließen auch grüße ich Euch für heute herzlich,
Euer Christoph