Forschungspreis Geographie und Geschichte, Tübingen 2017

Wortlaut der Laudatio von Prof. Dr. Dieter Dowe (Bonn), Prof. Dr.Dr.h.c.mult. Jürgen Kocka (Berlin), Dr. Heike Christina Mätzing (Bonn/Braunschweig) und Prof. Dr. Dr. h.c. Peter Meusburger (+) (Heidelberg) (Kurzfassung) 

Der mit dem „Forschungspreis Geographie und Geschichte 2017“ ausgezeichnete Bielefelder Althistoriker Prof. Dr. Raimund Schulz hat mit seinem Buch „Abenteurer der Ferne. Die großen Entdeckungsfahrten und das Weltwissen der Antike“ (Stuttgart: Klett-Cotta 2016, 2. Aufl. 2016, 615 S. mit zahlreichen Karten) ein herausragendes wissenschaftliches Werk verfasst. Es verbindet souverän historische und geographische Fragestellungen, ist aber auch für andere sozialwissenschaftliche Disziplinen von Bedeutung, die sich mit der Produktion und Diffusion von Wissen beschäftigen. Es beruht auf einem gewaltigen Fundus an Quellen und Literatur in diversen antiken Sprachen, die Schulz vielfach auch mit der Interpretation archäologischer Grabungen verbindet. Herr Schulz erforscht die Bemühungen in der Antike, die Grenzen des Mittelmeerraums zu überwinden und in damals noch unbekannte Räume vorzustoßen. Er hat mehr als 2.000 Jahre Entdeckungsgeschichte von den Kapitänen und Kriegern der Bronzezeit über die Händler und Kolonisatoren des Altertums bis zu den Expansionen der Frühen Neuzeit (im 15./16. Jahrhundert) untersucht und – soweit als möglich – kartographisch dargestellt. Im Laufe der Jahrhunderte wurden so die Voraussetzungen für neue Erkenntnisse in Geographie, Technik, Kosmologie und Philosophie geschaffen. Abenteuer- und Entdeckungsfahrten erschlossen den Zugang zu fremden Völkern und Kulturen – von Sibirien bis in die Sahara, von Indien bis nach China. So wurden schrittweise die Grenzen der bekannten Oikumene verschoben, zuerst vorwiegend in Richtung Osten, Norden und Süden. Erst später öffnete sich auch der Blick über den Atlantik nach Westen. Aus der Sicht der Geographie besteht die große Bedeutung dieses Buches nicht in erster Linie darin, dass der Verfasser viele wissenschaftliche Erkenntnisse über die Antike erstmals in Karten dargestellt hat, sondern das Faszinierende liegt in den vielen Parallelen zu einer modernen Geographie des Wissens. Für Historiker ist besonders interessant, dass auch in der Antike die Entdeckung neuer Gebiete nicht nur einen Erwerb von neuem Sachwissen (u.a. über Rohstoffe, Navigation, Verkehrswege, Medizin, Herrschaftsformen, Techniken der Metallverarbeitung) zur Folge hatte, sondern auch die Konstruktion von neuem Orientierungswissen, damals oft in Form von Mythen und Legenden, die sich um fremde Länder und Völker rankten. Mythen entfalteten – machtpolitisch gesehen – eine ähnliche Wirksamkeit wie heute Ideologien. Das Buch ist sehr gut geschrieben, in lebendiger Sprache formuliert und zieht die Leser in seinen Bann. Es erfüllt in geradezu idealer Weise das Ziel des Forschungspreises, über die Fachwissenschaften Geographie und Geschichte hinaus ein breiteres Publikum anzusprechen. So sehr sich Raimund Schulz in seinem beeindruckenden Werk auf die Antike konzentriert, so sehr bietet er zugleich wichtige Grundlagen für das Verständnis und die Bewertung einer späteren großen Entdeckungs- und Expansionsphase, nämlich der in der Frühen Neuzeit. In dieser Phase konnte durchaus an die Rezeption des antiken Weltwissens angeknüpft werden, dessen Entwicklung er so meisterlich dargestellt hat.

Verwendung des Preisgeldes

Das Preisgeld soll eingesetzt werden für die Erarbeitung und Publikation eines seit Jahren geplanten 2-bändigen Buchprojektes, das die wichtigsten Quellentexte zur Entwicklung der Geographie und geographischen Horizonterweiterung der Antike (vom 8. Jahrhundert v. Chr. bis zum 5. Jahrhundert n.Chr.) erfasst, übersetzt, kommentiert sowie historisch und wissenschaftsgeschichtlich einordnet. Ein solches Vorhaben ist seit Jahrzehnten nicht nur im deutschen Sprachraum ein absolutes Desiderat; es soll das längst veraltete „Vorgängerwerk“ von R. Hennig aus dem Jahre 1944 (Terrae Incognitae, Leiden 1944) ersetzen und den bekannten, von E. Schmitt herausgegebenen „Dokumenten zur Geschichte der europäischen Expansion“ (7 Bde. München/Wiesbaden 1986-2008), die antiken Epochen voranstellen. Es richtet sich ausdrücklich an forschende und lehrende Historiker, Geographen und Geographiehistoriker und soll die disziplin- und epochenübergreifende Arbeit (und Lehre) stärken. Da es sich zum Teil um noch nicht erschlossene Quellen, Dokumente und Kartenrekonstruktionen auch aus nichteuropäischen Kulturkreisen (u.a. China, Indien) handelt, fallen erhebliche Erschließungs- und Übersetzungskosten an. Eine Tagung vor der endgültigen Publikation soll Geographen und Historiker zusammenführen und eine letzte Prüfung des Vorhaben ermöglichen.

Prof. Dr. Raimund Schulz

Universität Bielefeld Fakultät für Geschichtswissenschaft,
Philosophie und Theologie
– Alte Geschichte –
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