Das ganze Ausmaß der Möglichkeiten einer Raum und Zeit, Natur und Mensch verbindenden modernen Geographie wurde einer 24köpfigen Reisegruppe demonstriert, die auf der ersten Geographischen Länderexkursion des Freundeskreises der Voss-Stiftung das nordafrikanische (geologisch bis zum Anti-Atlas südeuropäische) Land Marokko 14 Tage lang bereiste. Auf der Grundlage einer 40jährigen Beschäftigung mit dem Königreich brachte der Reiseleiter, der Vorsitzende der Stiftung, Prof. Dr. Herbert Popp von der Universität Bayreuth, den Teilnehmerinnen und Teilnehmern ein seit dem 8. Jahrhundert muslimisches Land nahe, das zwischen Tradition und Moderne seinen gängige Vorstellungen und Vorurteile sprengenden Weg geht.
Immer wieder werden die Reisenden mit Zeugnissen einer langen Geschichte konfrontiert: von den Berbern und Römern über das Sultanat und die europäische Kolonialherrschaft, insbesondere Frankreichs von 1912-1956, zur Unabhängigkeit und zur Neukonstituierung als Königreich, das eine bemerkenswerte politische und wirtschaftliche Stabilität aufweist. Zahlreiche Modernisierungsprozesse haben eine leistungsfähige Bewässerungswirtschaft, dynamisch expandierende und quirlige Städte hervorgebracht und doch viele Traditionen bewahrt, die für den Europäer von außerordentlichem Reiz sind und einen „lebenden Orient“ erfahren lassen.
Vieles stürmte auf die Exkursionsteilnehmer ein:
- die mauerumgürteten Altstädte (Medinen) mit ihren Märkten (Souks), Moscheen und Theologiestudienhäusern (Medersen) sowie kolonialzeitlichen europäischen „villes nouvelles“ der sog. „Königsstädte“ Rabat, Meknes, Fes und Marrakech;
- die Wochenmärkte in den kleinen Dörfern auf dem Lande mit ihren farbenfrohen und lebendigen Angeboten;
- die teilweise schneebedeckten Gebirge von Hohem und Mittlerem Atlas;
- die eindrucksvolle Kargkeit der Felsformationen des Anti-Atlas mit seinen Getreidespeicherburgen (Agadiren), seinen reizvollen Dörfern aus sonnengehärtetem Lehm und seiner gastfreundlichen, aber auch geschäftstüchtigen Berber-Bevölkerung;
- der Sonnenaufgang über den Sandwüstenfeldern des Erg Chebi am Rande der Sahara, der größten Wüste der Welt;
- und die in sattem Grün erscheinenden Flussoasen mit ihren Palmengärten südlich des Atlas-Gebirges, vor allem entlang der sog. „Straße der Kasbahs“ mit ihren Wohnburgen (Tighremts).
All das verdrehte den Besuchern geradezu den Kopf und machte sie schwindelig vor kontrastvollen Eindrücken.
Wasser, das war das zentrale geographische Thema dieser Reise. Wo es ausreichend oder im Überfluss vorhanden ist wie in den Küstenebenen und (zumindest unterirdisch) Flusstälern, entwickelten sich seit der Römerzeit (Provinzhauptstadt Volubilis, eine der am besten erhaltenen Römerstädte Nordafrikas) quirlige Städte. In den wasserarmen Regionen des Mittleren und Hohen sowie Anti-Atlas bis zum Rand der Sahara bestimmt Wasser in den Flussoasen die Entwicklung menschlicher Kultur, in den übrigen Teilen bedingen die Versuche, unterirdische Wasserbestände aufzuschließen und in geringem Maße Niederschläge zu speichern, in dem kargen Land die Möglichkeiten und Grenzen aufwändiger Kulturarbeit. Dabei zeigte sich immer wieder, dass Bemühungen der Moderne den alten traditionellen Methoden der Wassergewinnung und -speicherung nicht unter allen Umständen überlegen sind, ja, sich gelegentlich eher hinderlich oder gar schädlich auswirken, z.B. mit Bezug auf Versalzung des Bodens.
Genossen haben alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Exkursion das zeitweise Eintauchen in orientalisches Leben, die Kontakte mit Händlern in den Souks, die Unterbringung in zum Teil Kasbah-ähnlichen Hotels, am Rande der Sahara sogar in einem luxuriösen Beduinenzelt, auch in typisch arabischen, sich vom Innenhof her öffnenden Riads, die exzellente marokkanische Küche im landestypischen Ambiente.
Alle Mitreisenden waren sich einig: Es war ein ungemein dichtes, vielfältige Facetten des Landes erschließendes Erlebnis, das noch lange nachwirken wird. Als Fazit kann man festhalten: Das Konzept des Freundeskreises der Voss-Stiftung, gerade Nicht-Fachleuten die Bandbreite und Leistungsfähigkeit der modernen Geographie vor Augen zu führen, ist (nach Budapest und Athen) auch bei dieser Reise voll aufgegangen.
Die nächsten Reisen haben als Ziel:
- Länderexkursion: Rumänien und Moldawien, geleitet von Prof. Dr. Johann-Bernhard Haversath von der Universität Gießen (12. – 25. September 2016)
- Stadtexkursion: Lissabon, geleitet von Prof. Dr. Bodo Freund von der Humboldt-Universität Berlin (18. – 24. Mai 2016)
Weitere Informationen: geographie@voss-stiftung.de
Prof. Dr. Dieter Dowe, St. Augustin/Braunchweig